Historical Weihnachtsband 1990
überleben. Und das ist alles. Guten Tag, Captain Travis Aylwin."
Sein Lächeln vertiefte sich, als er seinem Pferd die Absätze in die Flanken stieß und zurück an die Spitze seiner Truppe galoppierte.
Isabelle blickte ihnen nach, bis sie längst verschwunden waren.
★
Mit dem Übergang des Frühlings in den Sommer erreichten Isabelle Neuigkeiten im Überfluß. Es gab ein schreckliches Gemetzel bei Chancellorsville, bei dem auf Seiten der Union über 16 000 Mann getötet, verwundet oder gefangengenommen wurden, während der Süden über 12 000 Soldaten verlor. Und obwohl der Süden als Sieger galt, hatte er zugleich einen vernichtenden Schlag erhalten. „Stonewall" Jackson wurde aus Versehen von einer Kugel aus den eigenen Reihen getroffen und erlag am 10. Mai seinen Verletzungen.
Isabelle betete um weitere Nachrichten und meldete sich erneut freiwillig zum Lazarettdienst. Sie arbeitete unermüdlich und fürchtete bei jedem verwundeten Soldaten der Konföderation, daß es einer ihrer Brüder, und bei jedem gefangenen Unionssoldaten, daß es Travis sein könnte.
Im Juli erreichte sie im Lazarett die Nachricht von einer verlustreichen Schlacht bei einer kleinen Stadt in Pennsylvania namens Gettysburg. Die Opfer an Menschenleben waren entsetzlich. Und General Lee befand sich mit seiner Armee von Nordvirginia auf dem Rückzug. Man flüsterte, dies wäre nun der Wendepunkt des Krieges. Der Süden wurde in die Knie gezwungen.
Auf dem Heimweg machte Isabelle in der Ortschaft halt, in der bangen Hoffnung auf Neuigkeiten von ihren Brüdern, Neuigkeiten von Travis. Stundenlang wartete sie auf die Listen der Toten, Verwundeten und Gefangenen. Als es ihr schließlich gelang, eines dieser Blätter in die Hand zu bekommen, sah sie es hastig auf die Namen ihrer Brüder durch, fand jedoch nichts und dankte Gott in einem stillen Gebet.
Gleichzeitig litt sie mit denen, die nicht soviel Glück gehabt hatten und bittere Tränen
über den Verlust eines Sohnes, Vaters, Geliebten oder Bruders vergossen. Sie schluckte schwer, dachte an Travis und betete, daß er davongekommen sei.
Dann fuhr sie mit ihrer Kutsche weiter nach Hause. Und als sie in dieser Nacht ihr Gebet verrichtete, gestand sie sich ein, daß sie Travis Aylwin liebte, und obwohl er ein Yankee war, betete sie, daß Gott immer seine Hand über ihn halten möchte.
Eines Tages im September erntete sie gerade das letzte Sommergemüse in ihrem kleinen Garten, als Peter aufgeregt nach ihr rief. Isabelle wischte ihre Hände an der Schürze ab und kam um das Haus gerannt. Auf der Veranda stand der Butler und zeigte aufgeregt nach Osten.
Reiter! Isabelle konnte sie sehen, und ihr Herz begann sogleich schneller zu schlagen. Es waren etwa zwanzig oder dreißig Mann, und sie trugen die blaue Uniform der Union.
Wie wild klopfte ihr Herz. Travis war am Leben!
Und was, wenn es nicht Travis war? Wenn es ein anderer Yankee war, einer, der sich nicht, wie Travis, selbst mitten im Krieg seinen Sinn für Recht und Unrecht bewahrt hatte?
Sie sprang die Stufen zur Veranda hinauf, stieß Peter aus dem Weg und lief ins Haus.
Sie riß den Waffenschrank auf, der in einer Ecke der Eingangshalle stand, griff nach ihrem Gewehr und versuchte es mit zitternden Fingern zu laden. Da legte sich eine Hand auf ihre Schulter, und mit einem Schrei wirbelte Isabelle herum.
„Wollen Sie wieder mit dem Gewehr auf mich los, Isabelle? Verdammt, ich habe doch nicht Chancellorsville und Gettysburg überlebt, um mich von Ihnen abknallen zu lassen."
Er war dünn, sehr dünn und ausgemergelt, aber seine Augen leuchteten wie glühende Kohlen. Isabelle setzte zu einer Bewegung an, und mit dieser Bewegung hob sich zugleich der Gewehrlauf. Travis nahm ihr die Waffe weg und schleuderte sie quer durch den Raum. Dann riß er Isabelle in die Arme und preßte seine Lippen auf ihren Mund. Und sie konnte gar nicht daran denken, mit ihm zu kämpfen, solange er sie nicht losließ.
Er hielt sie fest an sich gedrückt, ihre Oberarme mit den Händen umklammernd.
„Sag mir, daß du mich vermißt hast, Isabelle! Sag mir, daß du dich freust, mich lebendig wiederzusehen!"
Isabelle schluckte heftig. Sie war eine Südstaatlerin, eine Virginia-Frau. Ihr Herz bebte, und die Luft schien ihr wegzubleiben, aber sie durfte sich nicht ergeben, solange der Süden weiterkämpfte. Sie entwand sich Travis. „Ich bin froh, daß du am Leben bist, Yank, aber ich wünsche mir von Herzen, du wärst nicht hier."
Sie rannte nach
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