Historical Weihnachtsband 1990
oben und begann ruhelos in ihrem Zimmer auf und ab zu laufen, während sich die Yankees einrichteten. Als es Nacht wurde, lauschte sie auf seine Schritte im Nebenraum. Sie hörte, wie sie sich der Tür näherten, sich wieder entfernten. Wieder und wieder.
Keine zwei Wochen danach kam ein Yankee-Reiter angaloppiert, stampfte ins Haus, und Travis zog sich mit ihm ins Arbeitszimmer zurück. Isabelle eilte die Treppe hinab und fragte sich, was geschehen sein mochte. Männer kamen ins Haus gerannt, schlugen das Glas aus den Fenstern und gingen mit ihren Gewehren in Stellung.
Travis kam aus dem Büro und sah Isabelle am Fuß der Treppe stehen.
„Isabelle, Sie müssen in den Keller runter."
„Warum? Was ist denn los?"
„Rebellen, Clancys Brigade."
„Clancys Brigade?" Sie erbleichte.
„Ja, Clancys Brigade", wiederholte Travis. „Sie sind unterwegs hierher. Sie haben gehört, daß dieses Haus und der Ort von Yankees besetzt sind, und sie suchen den Kampf."
Isabelle drohten die Sinne zu schwinden. Sie konnte sich kaum auf den Beinen halten.
„Isabelle, was ist los?"
„Steven ist in Clancys Brigade, mein Bruder Steven." Sie sah Travis an, daß er ihren Schmerz verstand, aber ihr war auch klar, daß er in diesem Moment der Befehlshaber seiner Truppe war, daß Krieg herrschte und er kämpfen mußte, um zu siegen.
„Sie müssen in den Keller hinunter."
„Nein!"
Travis wandte sich an den Butler, der gerade aufgetaucht war. „Peter! Ich weiß nicht, wer hier heute gewinnen und wer verlieren wird, aber ich wünsche auf keinen Fall, daß Isabelle ein Opfer dieses Krieges wird. Bring sie hinunter!"
Peter legte einen Arm um sie und schob sie eilig zur Kellertreppe. Benommen ließ sie sich von ihm führen.
Als der erste Kanonendonner ertönte, schrie Isabelle auf und drückte die Hände gegen die Ohren. Dann erbebte das ganze Haus, und sie hörte Gewehrsalven und Explosionen, Pferdegewieher und Schmerzensschreie. Sie wußte nicht, was der Auslöser war, aber sie konnte es einfach nicht ertragen, daß ihr Bruder da draußen war und sein eigenes Haus bombadierte. Jedenfalls entwischte sie Peter und rannte hinaus, sich vor den Kugeln duckend, die durch die offenen Fenster schwirrten. Was sie damit zu erreichen hoffte, war ihr wohl selbst nicht klar. Natürlich wollte sie, daß die Konföderierten gewannen. Aber dann war da der Gefreite Darby mit seinen Sommerprossen, seinen schiefen Zähnen und seinem offenen Lächeln, und das Blut floß nur so aus seiner Schulter, und es sah aus, als stünde er unter Schock. Flink kroch Isabelle zu ihm ans Fenster und riß einen Streifen Stoff aus ihrem Unterrock, um die Blutung zu stillen und die Wunde zu verbinden.
„Danke, Miss Hinton, vielen Dank", sagte er immer wieder. Sie streckte ihn auf dem Boden aus, dann hörte sie Travis zornig ihren Namen rufen.
„Isabelle!" brüllte er, stürmte auf sie zu, riß sie vom Fenster weg und drückte sie gegen die Wand. „Das hätte dich das Leben kosten können, du kleine Närrin."
Sie hörte seine Worte nicht. Sie sah aus dem Fenster, und ein Schrei erstickte in ihrer Kehle. Steven, in seiner zerschlissenen grau-goldenen Uniform, kam dem Haus näher und näher und schien zur Rückseite schleichen zu wollen. Er schien so nahe, daß sie fast das Gefühl hatte, ihn mit ausgestrecktem Arm erreichen zu können.
Dann erstarrte sie, als sich sein graues Kavalleriehemd plötzlich rot verfärbte, er sich die Hände auf den Leib preßte und im Gras zusammenbrach.
„Steven!" Isabelle riß sich von Travis los und rannte auf das Fenster zu. Sie spürte nichts, als sie über das Fensterbrett voller Glasscherben glitt. Sie kannte keine Furcht, als sie quer über das Schußfeld auf die reglose Gestalt ihres Bruders zueilte.
„Steven, o Steven!" schrie sie verzweifelt.
„Runter!" Travis war hinter ihr, warf sich auf sie, zwang sie zu Boden. Kugeln flogen ihnen um die Ohren, bohrten sich dicht neben ihnen in die Hauswand in den Boden.
„Du Närrin! Das ist doch Selbstmord!"
„Das ist mein Bruder. Ohne ihn gehe ich nicht ins Haus zurück."
„Du mußt aber!"
„Er liegt vielleicht im Sterben."
„Los, ins Haus! Ich hole ihn, das schwöre ich. Bei allem, was mir heilig ist, Isabelle, ich habe eine Chance, du nicht."
Er versetzte ihr einen Stoß, daß sie wegrollte. Dann, ehe sie protestieren konnte, war er aufgesprungen und rannte über den Rasen auf Steven zu. Ein Konföderierter trat ihm in den Weg, den Säbel zum Nahkampf erhoben.
Weitere Kostenlose Bücher