Historical Weihnachtsband 1990
wo mein Zuhause ist", flüsterte sie kaum hörbar.
Doch er hörte sie. Er öffnete die Augen, deren Blick verschwommen wirkte, aber sie wußte, daß er sie sah.
„Dein Zuhause ist da, wo die Liebe wohnt, mein Kind. Das weißt du doch bestimmt.
Es spielt keine Rolle, ob es eine armselige Hütte oder ein Palast oder eine Decke an einem Feuer ist — dein Zuhause ist da, wo die Liebe wohnt."
Wieder schloß er die Augen. Isabelle drückte seine Hand, und er drückte zurück.
Dann rasselte es noch einmal in seiner Lunge, und der Druck seiner Hand ließ langsam nach.
Tränen strömten Isabelle aus den Augen und tropften auf die Wolldecke.
Jemand berührte sie an der Schulter — Sergeant Sikes. „Kommen Sie, Miss Hinton.
Ich bringe Sie jetzt zu Katie Holloway."
Sie ließ sich von Sergeant Sikes zur Tür führen, denn durch den Schleier ihrer Tränen konnte sie kaum etwas sehen. Diese Ungerechtigkeit war für sie einfach unerträglich, daß der arme alte Mann so nahe seinem Heim und seiner Familie das Zeitliche segnen mußte.
Dann schüttelte sie Sergeant Sikes' Hand ab und drehte sich um. Der alte Mann schien in vollkommenem Frieden entschlafen zu sein. Die Falten in seinem Gesicht hatten sich geglättet, er schien sogar zu lächeln.
Sie trat in den Schnee hinaus. Jemand half ihr in den Sattel, und auch Sergeant Sikes saß wieder auf.
Sie konnten nun weiterreiten, zu Katie und dort die Feiertage verbringen.
Oder sie konnte nach Hause zurückkehren.
Isabelle stieß einen Schrei aus und riß mit solcher Gewalt an den Zügeln, daß das erschrockene Tier steilte und mit den Vorderhufen in der Luft ruderte, daß der Schnee nur so stob.
„Miss Hinton . . begann Sergeant Sikes.
„Oh, Sergeant, er ist nicht umsonst gestorben, nicht wahr? Er liegt da drinnen und lächelt, sogar noch im Tode. Weil er zu Hause ist. Und auch ich will jetzt heim. Es ist Weihnachten, Sergeant."
Sollten die Yanks sie doch für verrückt halten. Sicher war der Krieg noch nicht vorüber, aber für sie war er vorbei. Jedenfalls über Weihnachten.
Ihr war, als flöge sie über die Ebene. Es war ein Tag, der der ganzen Menschheit Frieden versprach.
Der Schnee zerstob unter den Hufen der Stute, und der Wind peitschte Isabelle ins Gesicht, als sie durch die öde Winterlandschaft galoppierte. Sikes war weit zurückgefallen, aber er brauchte sich keine Sorgen zu machen. Sie kannte den Weg.
Schließlich kam das Haus in Sicht. Isabelle konnte bereits das Feuer erkennen, das im Kamin des Arbeitszimmers brannte.
Sie sprang vom Pferd und rannte, schneebedeckt, die Stufen hinauf. Sie riß die Tür auf und lief, ohne die Tür hinter sich zu schließen, zum Büro. Sie klopfte nicht an, sondern riß auch diese Tür auf. Dann erst blieb sie stehen, völlig außer Atem, und brachte keinen Ton heraus.
Travis saß hinter dem Schreibtisch. Erstaunt sah er sie an, sprang auf und kam zu ihr herum. Sie sank ihm in die Arme.
„Isabelle! Bist du verletzt? Was ist los? Isabelle . . ."
„Ich bin nicht verletzt."
„Also?"
„Nichts ist passiert."
„Also?"
„Ich bin nur heimgekommen, das ist alles. Ich will die Feiertage zu Hause verbringen.
O Travis, ich liebe dich so sehr."
Er trug sie zum Kamin und setzte sich vor das Feuer. Ihren Kopf auf dem Schoß, sah er ihr forschend in die Augen. Er flüsterte ihren Namen und vergrub seinen Kopf an ihrem Hals, flüsterte wieder und wieder ihren Namen.
„Ich liebe dich, Travis. Ich liebe dich so sehr."
Verwirrt schüttelte er den Kopf. „Ich dachte, ich hätte dir ewige Liebe versprochen, aber du bist einfach weggeritten."
„Ich wurde aufgehalten. Ein paar Yanks brachten einen alten Rebellen nach Hause, aber er schaffte es nicht. Er ist gestorben, Travis."
„Oh, Isabelle, das tut mir leid."
„Nein, Travis, nein. Er war zufrieden mit seinem Leben. Er hatte die Liebe in all ihren Formen kennengelernt, und — und er hatte nie darauf gesehen, welche Farbe sie trug. Es ist so schwer zu erklären. Durch ihn habe ich gesehen . . . Travis, die Liebe ist so zerbrechlich, so schwer zu gewinnen, so schwer zu verdienen, so vergänglich wie eine Schneeflocke zu Weihnachten. Oh, Travis!"
Sie schlang die Arme um ihn und küßte ihn lange und innig. Dann suchte sie seinen Blick. „Ich — ich würde dir gern etwas geben. Was du getan hast, um James freizubekommen, war einfach wunderbar."
„Isabelle, du bist mein Weihnachtsgeschenk. Du bist das, was ich mir schon immer gewünscht habe."
Sie wurde rot.
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