Historical Weihnachtsband 1991
ihr ab? Sie war so ganz anders als am vorhergehenden Abend. Sie erinnerte ihn an ein Chamäleon, das den Umständen entsprechend seine Farbe veränderte. Die Frau, die es gewagt hatte, die Gesellschaft herauszufordern, indem sie den Herrenclub betrat, hatte ihn gereizt, aber die Frau heute abend war nichts als ein verzogenes Gör, das glaubte, die Welt zu beherrschen. Als sie zum Nachtisch ein Zitronensouffle verzehrten, glaubte er endlich zu verstehen, warum er weiterhin interessiert war. Zugegeben, sein Stolz stand auf dem Spiel, denn offensichtlich lag ihr nicht das geringste an ihm. Aber Amelia Simpson war eine Herausforderung. Und er hatte es noch nie verstanden, einer Herausforderung zu widerstehen.
Auch Amelia hatte Zeit gehabt, die Lage zu überdenken. Zwar weigerte sie sich, Yancy anzusehen, doch hatte sie den ganzen Abend seinen Blick auf sich gespürt.
Fühlte er sich von ihr angezogen? Falls ja, konnte sie diese Tatsache vielleicht zu ihrem Vorteil nutzen. Sich über seine Grobheit aufzuregen brachte überhaupt nichts, desgleichen, wenn sie ihn verärgerte. Viel günstiger wäre es, wenn sie ihn zu ihrem Verbündeten statt zu ihrem Feind machen würde.
Amelia tupfte sich mit der Leinenserviette die Lippen ab und legte sie neben den Teller. „Ich muß zugeben, Yancy, das war ein ausgezeichnetes Mahl." Sie schenkte ihm ihr gewinnendstes Lächeln.
Na bitte, dachte Yancy, das Chamäleon wechselt schon wieder die Farbe.
„Bitte verzeihen Sie mein Verhalten vorhin. Meine einzige Entschuldigung ist meine Sorge wegen der Wette mit meinem Bruder. Können wir noch einmal von vorn beginnen und wenigstens versuchen, Freunde zu sein?"
Wenn Yancy niemals Honig vom Mund einer Frau hatte tropfen sehen, so sah er es jetzt. „Das gefallt mir schon besser", sagte er gleichermaßen unaufrichtig.
„Wir haben unser Dinner beendet. Können wir jetzt reden?" fragte Amelia mit Engelszungen.
„Durchaus."
„Woher wußten Sie von der Wette mit meinem Bruder?"
Er erklärte es ihr.
„Da bin ich aber erleichtert. Ich dachte schon, Sie seien ein Zinker, und Sie beide hätten Vorsorge getroffen, daß ich verliere. Kannten die anderen Spielteilnehmer meine wahre Identität?"
„Nein, und Sie tun Ihrem Bruder unrecht. Ich glaube nicht, daß Carlton ein Mensch ist, der bei einer Wette zu unlauteren Mitteln greift."
Amelia bekam plötzlich ein schlechtes Gewissen, daß sie Carlton so etwas zugetraut hatte.
Sie schwiegen, während der Kellner den Tisch abräumte.
Amelia wußte, der einzige sichere Weg, sie aus der Bredouille zu bringen, bestand darin, Yancy dazu zu bewegen, daß er sagte, sie hätten Karten gespielt, und er hätte verloren. Sie wollte nicht heiraten! Natürlich würde sie sich großmütig zeigen und auf
Carltons Pferde verzichten. Sie konnte ja sagen, daß sie sie eigentlich gar nicht haben wollte, und es ihr nur darum gegangen war, ihren Standpunkt zu belegen.
Dagegen würde sie es als himmlisch empfinden, seine Entschuldigungen für all die Dinge zu hören, die er gesagt hatte.
„Yancy, ich möchte mich bei Ihnen bedanken, daß Sie ein Gentleman gewesen sind und meine Identität nicht preisgegeben haben. Nicht einmal Carlton gegenüber.
Aber sehen Sie, ich habe da immer noch ein kleines Problem . .."
„Ach? Wo liegt denn der Hund begraben?" fragte er ganz unschuldig.
„Da wäre immer noch die Sache mit dem Pokerspiel."
„Was ist mit dem Pokerspiel?"
„Wie soll ich erklären, daß wir gespielt haben, und wo?"
„Ja, ich kann mir vorstellen, daß das ein gewisses Problem darstellt. Wie wär's, wenn wir sagten, daß wir bei mir zu Hause gespielt haben?"
„Das meinen Sie doch nicht im Ernst!"
„Auf meinem Boot?"
„Natürlich nicht."
„In meiner Kutsche."
„Ich fürchte, Sie haben nicht die richtige Einstellung zu der Sache."
„Im Gegenteil. Ich bin mir des Ernstes der Lage durchaus bewußt, komme aber anscheinend nicht auf den richtigen Dreh."
Sie trank ihr Glas aus, und Yancy schenkte nach. In ihrem Ärger hatte sie nur wenig gegessen, aber er hatte sich nicht darüber geäußert. Dafür hatte sie den Inhalt der Flasche größtenteils allein genossen. Yancy war neugierig, wie lange es dauern würde, bis sich der Wein bemerkbar machte.
„Haben Sie irgendwelche Ideen?" Er sah zu, wie sie das Glas ergriff, und stellte fest, daß es sie ein wenig Mühe kostete, es an ihre Lippen zu bringen.
„Nein. Ich werde darüber nachdenken müssen." Als sie das Glas absetzte, verschüttete
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