Historical Weihnachtsband 1991
hatte.
Erfrischt nach ihrer Toilette und mit einem blaßgelben, mit Gänseblümchen verziertem Kleid angetan, das ihre Stimmung sogleich beträchtlich hob, machte sich Amelia auf den Weg nach unten. Einerseits wollte sie sich nicht von Yancy erpressen lassen, andererseits aber auch nicht die Folgen der verlorenen Wette auf sich nehmen. Es mußte doch einen Weg geben, aus dem ganzen Schlamassel herauszukommen. Dazu benötigte sie Zeit. Wie lange würde Yancy warten, bevor er alles erzählte?
Als Amelia das Wohnzimmer betrat, war sie nicht darauf gefaßt, Carlton zu sehen. Er stand an der Terrassentür, die Hände hinter dem Rücken verschränkt und die schöne Stirn in Gewitterfalten gelegt. In seiner Nähe saß Ruth und drehte nervös ein Spitzentaschentuch in den Händen.
„So, mein Bruder Adam hat also geruht, uns die Ehre seiner Gesellschaft zu erweisen!" Carltons Ton war beißend. „Nehmen Sie doch bitte Platz, mein Herr. Ich denke, wir haben viel zu bereden."
Äußerlich ruhig glitt Amelia durch den Raum und ließ sich anmutig in einem Sessel nieder.
„Sprich, Brudersagte Carlton mit von Sarkasmus triefender Stimme, „gibst du zu, daß du vorgestern abend im Herrenclub warst, oder willst du uns die Unschuld vom Lande vorspielen?"
„Wovon redest du da, Carlton?" fragte Ruth. „Du weißt doch, daß Frauen dort keinen Zutritt haben."
„Ich rede mit Amelia. Nun?"
„Nein, ich streite es nicht ab."
„Wie konnten sie dich überhaupt einlassen?" fragte Ruth völlig perplex.
„Sie wurde nicht eingelassen", entgegnete Carlton. „Aber mein Bruder. Denn Amelia hatte sich als Mann verkleidet."
In Ruths Augen trat Entsetzen. „Stimmt das?"
„Woher weißt du, daß ich das war?" fragte Amelia.
„Ich kam eigentlich erst darauf, als ich meine Freunde darüber reden hörte, was für ein guter Pokerspieler du bist. Darf ich mich erkühnen, dich zu fragen, mit welchem Recht du ein Etablissement betreten hast, daß nur für Männer reserviert ist?"
Amelia setzte sich auf. „Habe ich es vielleicht durch meine Anwesenheit verseucht?
In Paris bin ich an Orten gewesen, wo es einem . .
„Mein Gott!" Ruth wurde rot.
„Das war doch nicht mein Fehler, Carlton! Wie sollte ich denn sonst mit Yancy Medford Karten spielen? Du hast es ja darauf angelegt, denn du wußtest, daß das der einzige Ort war, wo ich ein Spiel mit ihm machen konnte. Und es gibt da übrigens noch ein paar Dinge, die du in bezug auf den Mann wissen solltest, den du einen Gentleman zu nennen beliebst."
„Du hast die Wette verloren", stieß Carlton sogleich nach. „Du kannst gleich mal eine Anzahlung leisten, indem du dich bei Ruth entschuldigst."
„Aber willst du denn gar nicht wissen . . ."
„Deine Entschuldigung, bitte!"
Amelia biß die Zähne zusammen und hob das Kinn. „Ruth, ich bitte dich um Verzeihung für das, was ich über deine Haushaltsführung geäußert habe, und ich verspreche dir, daß ich mir Mühe geben werde, in Zukunft weniger aufmüpfig zu sein." Mit einemmal wußte Amelia, wie sie sich aus dem Heiratsabkommen herauswinden konnte, und wunderte sich, daß sie nicht früher darauf gekommen war. Sie sah Carlton an und lächelte. „Da wäre noch etwas, das wohl auch noch geregelt werden müßte. Du sagtest, ich könnte mir meinen zukünftigen Ehemann aussuchen. Ich habe meine Entscheidung getroffen."
„Schön", sagte Carlton, immer noch wütend. „Welchen armen Teufel hast du dir ausgesucht?"
„Yancy Medford." Amelia war erfreut zu sehen, wie Carltons Gesicht aschfahl wurde.
Er stand da, als hätte es ihm auf einmal die Sprache verschlagen.
„Und er ist damit einverstanden?" brachte er schließlich heraus.
„Nicht im geringsten." Amelia tat so, als glättete sie ihr Kleid. „Soweit ich mich erinnere, sagtest du, wen auch immer ich mir als Ehemann auswählen würde, du persönlich würdest dafür Sorge tragen, daß der betreffende Gentleman auch den Weg zum Traualtar findet. So wie ich die Sache sehe, erübrigt sich die Wette, wenn du das nicht fertigbringst. Schließlich habe ich mich an meinen Teil des Abkommens gehalten."
„Er würde sich nie auf so etwas einlassen."
„Ich weiß. Ich baue sogar darauf. Meiner Ansicht nach gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder du gibst dich geschlagen und räumst ein, daß es kommende Weihnachten keine Hochzeit gibt, oder du fesselst den Mann und läßt ihn so lange schmoren, bis er sagt: ,Ich will.' Aber ich könnte mir denken, daß es dir gar nicht so recht wäre,
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