Historical Weihnachtsband 1991
durchschauen. Jedesmal, wenn ich eine bestimmte Reaktion erwarte, tut er genau das Gegenteil", beharrte Angelica. Sie war sich immer noch nicht klar darüber, was an der Haustür nach dem Konzert im Park geschehen oder vielmehr nicht geschehen war. Einen Augenblick lang war sie ganz sicher gewesen, Matthew würde sie küssen. Im nächsten hatte er ihr eine gute Nacht gewünscht und war gegangen.
Miss Lunt eilte herein, ein großes Glas heißen Zitronenwassers in der Hand, gefolgt von Quinton Keyes, der eine Tasse dampfender Schokolade trug. Beide bestanden darauf, daß Cecilia trinke. Nachdem sie gehorsam geschluckt hatte, war sie zwar bleich, lächelte aber ganz tapfer und behauptete, sich wesentlich besser zu fühlen.
„Ich bin ganz sicher, daß das Fieber sinkt." Miss Lunt legte die Hand prüfend auf die Stirn. „Immer noch zu heiß."
Keyes fühlte den Puls und stellte fest, daß Stola und Feuer daran schuld seien.
„Es geht mir wirklich schon ganz gut", beteuerte Cecilia und schaute Angelica flehend an. „Darf ich Ihnen beim Nähen helfen?"
„Natürlich", mischte sich Phoebe energisch ein und rückte den Sessel des Mädchens zu dem ihren. Die beiden Krankheitssachverständigen entfernten sich in ziemlich heftiger Auseinandersetzung, wie man der Erkältung der armen Miss Neville beikommen könnte.
„Und wie fühlen Sie sich wirklich?" fragte Angelica mitleidig, nachdem Miss Lunt und Mr. Keyes verschwunden waren.
„Gräßlich. Wenn ich auch nur noch einen Schluck trinken soll, wird mir übel, das steht fest", antwortete Cecilia.
Als Phoebe wenig später das Haus verließ, war das Kleid fertig und wirklich völlig verwandelt. Auch Angelica mußte zugeben, daß es ihr ausgezeichnet stand, während sie es anzog, um damit ins Theater zu fahren. Die hellen Bänder hellten die silbergraue Seide auf. Die Blume am Ausschnit hauchte einen sanften Rosenton über die blassen Wangen und ließ die braunen Augen größer und strahlender erscheinen.
Angelica überlegte, ob diese sichtbare äußerliche Veränderung nur mit dem Kleid oder etwa auch mit der Vorfreude auf ein Wiedersehen mit Matthew Thornton zu tun habe.
Der Wagen der Familie Addams hielt pünktlich vor dem Haus. Angelica eilte hinunter und mußte daran denken, daß sie seit Matthews Erscheinen ungewöhnlich oft ausgegangen war, viel öfter als in den Monaten davor. Und es hatte ihr immer mehr Spaß gemacht.
In der Kutsche saß sie dann neben Matthew dem Ehepaar gegenüber. Phoebe berichtete, daß Stella ganz beleidigt zu Hause geblieben sei, überzeugt, längst alt genug zu sein, um ein Theaterstück zu sehen.
„Sie weiß heute schon ganz genau, was sie will", sagte Geoffrey und lachte.
Matthew nickte. „Sie ist bezaubernd. Ich liebe Kinder. Hoffentlich habe ich eines Tages das Haus voll davon."
„Du erinnerst mich: Hast du schon ein Haus gefunden", erkundigte sich Geoffrey.
„Noch nicht, aber es gibt einige, die zur engeren Wahl stehen.
Diesmal muß ich unbedingt das richtige wählen. Ich möchte nicht noch einmal umziehen."
„Auch nicht, um vielleicht doch wieder nach York zurückzugehen?" fragte Angelica.
„Von Zeit zu Zeit werde ich das natürlich tun, aber mein wirkliches Domizil werde ich endgültig in London aufschlagen." Seine dunklen Augen suchten ihren Blick, als ob er auf eine unausgesprochene Frage antworten wollte.
Hastig sagte sie: „Ich hoffe, Sie finden das, was Sie suchen."
„Gefunden hätte ich es schon. Ich weiß bloß noch nicht, ob es zu haben ist."
Angelica wandte den Blick ab. Matthew verwirrte sie immer von neuem. Sie war nie sicher, ob er scherzte, sich über sie lustig machte oder sie ärgern wollte. Phoebes angedeutetes Lächeln verriet, daß sie der Meinung war, Matthew flirte mit Angelica.
Die hätte sich gewünscht, es wäre so.
Das Theater war voll, und Geoffrey räumte ein, er sei froh, die Karten bereits vor einem Monat bestellt zu haben. So hatten sie eine Loge für sich allein. Angelica begriff, daß ihr Schwager damals bereits von dem bevorstehenden Besuch Matthew Thorntons gewußt hatte. Also war es keineswegs eine spontane Einladung gewesen, sondern Phoebe und ihr Mann hatten zweifellos längst geplant, hier eine Ehe zu stiften.
In der Loge saß Angelica dann ziemlich nahe bei Matthew und hatte einen ausgezeichneten Blick auf die Bühne. Noch war der rote Samtvorhang geschlossen, und das Orchester spielte leise. Die Herren unterhielten sich gedämpft über Darwins Buch, das in letzter Zeit
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