Historical Weihnachtsband 1991
besetzt, die neue Hauptstadt der jungen Nation. Bald daraufhatten die verhaßten Hessen, mit denen sich die Engländer verbündet hatten, die reichen Landstriche im Umfeld der Stadt geplündert. Die McGowan-Farm war den Soldaten dabei entgangen. Im Oktober hatten die Engländer dann die Amerikaner bei Germantown geschlagen. Danach hatte es amerikanische Einquartierungen auf etlichen Höfen gegeben, und eine Brigade hatte in Berwyn, Beths Vaterstadt, Kleiderspenden gesammelt, um Washingtons Truppen besser durch den Winter zu bringen.
Trotz ihrer Niedergeschlagenheit mußte Beth lächeln, wenn sie an diese Spendenaktion dachte. Dabei hatte sie nämlich den Lieutenant-Colonel Jerrod Ross zum erstenmal gesehen. Noch jetzt rieselte ihr wohlige Wärme durch den Körper bei der Erinnerung an seine ausdrucksvollen Augen, das strahlende Lächeln, an die tiefe Stimme. Er war eigentlich der einzige Mann, der sich um sie bemüht hatte, wenn auch nur wenige kurze und wunderbare Tage lang. Bei der ziemlich schnell geschlossenen Ehe mit einem weitaus älteren Mann, in dem Beth immer nur einen Freund der Familie gesehen hatte, war ihr jede Art von Galanterie oder zärtlichem Getändel fremd geblieben. Und so hatten im
vergangenen Oktober die Aufmerksamkeiten Jerrod Ross' eine einzige Woche lang sogar den Krieg an den Rand gedrängt. Ein Blick des Lieutenant-Colonels hatte ihr die Knie weich werden lassen.
Er war ein sehr hübscher Mann. Das dunkle Haar leuchtete an der Sonne wie geglättetes Ebenholz. Er trug es gerade nach hinten gekämmt und mit einem Lederriemchen zusammengebunden. Dies betonte die hohe Stirn und die dichten schwarzen Brauen über ziemlich tiefliegenden braunen Augen. Bei seinem ersten Besuch war er mit Beth und dem kleinen Tim durch den Obstgarten gewandert und hatte die Äpfel bewundert, den Stolz der Leute von der McGowan-Farm. Beim nächstenmal kam Ross vorbeigeritten und blieb zum Abendessen. Und dann erschien er täglich für einige Stunden. Zum Abschied hatte Jerrod Ross Beth geküßt und damit ziemlich aus dem inneren Gleichgewicht gebracht. Er hatte versprochen, eines Tages wiederzukommen. Aber wer konnte schon einem Versprechen in Kriegszeiten Glauben schenken? Selbst wenn sie jetzt keine Ahnung hatte, wo er sich aufhalten mochte, bewahrte sie ihm doch eine überaus liebevolle Erinnerung.
Kaum hatte er die Farm verlassen gehabt, begleitet von Beths herzlichsten Wünschen, war dort Schlimmes geschehen. Da es nun kaum amerikanische Truppen in der Nähe gab, hatten die Engländer ihre Verpflegungsbeschaffung bis hierher ausgedehnt. Marodierende Soldaten hatten alle Pferde mitgenommen. Nur bei zweien war es Tim gelungen, sie in den Wald laufen zu lassen. Eine einzige Kuh hatten die Plünderer im Stall gelassen, aber kein Schwein, kein Huhn. Das gackernde Hühnervolk hatten sie sogar in die Kissenbezüge gestopft, die gerade zum Trocknen aufgehängt gewesen waren. Elizabeths Selbstsicherheit hatte einen argen Stoß davongetragen, nachdem Jerrod Ross ziemlich zu einer Verbesserung beigetragen hatte, als er den Schutz der Armee versprochen hatte. Nun fühlte sich Beth wieder genau so hilflos wie nach dem Tod ihres Mannes.
Es hieß, die Briten würden gewiß wiederkommen, und deshalb war sie immer auf der Hut. Langsam stieg Zorn in ihr hoch. Sie
hatte der amerikanischen Sache immer gedient, hatte den Ehemann im Dienste dieser Sache verloren, und nun konnten diese Leute nicht einmal die eigenen Bürger vor den Übergriffen der britischen Soldaten schützen. Wie wollten General Washingtons Truppen jemals hoffen, die jungen Vereinigten Staaten zu befreien, wenn sie den Feind nicht einmal hindern konnten, einer jungen Witwe die Tiere von der Farm zu rauben? Sollten sich Marodeure noch einmal hier zeigen, so war Elizabeth McGowan fest entschlossen, ihnen mit der Flinte ihres toten Schwiegervaters entgegenzutreten und das Erbe des Sohnes zu verteidigen.
In letzter Zeit hatte Beth immer nur wenige Stunden vor der ersten Morgendämmerung geschlafen, vorher Wache gehalten und sich gehärmt. Nun stand sie in der Küche, ohne eine Kerze zu entzünden oder die rotglimmende Asche noch einmal zu Flammen aufzuschüren. Die Dunkelheit ersparte es ihr, in den Spiegel zu sehen, der das Bild des ganzen Raumes zurückgab. Natürlich wirkte sie müde und ungepflegt, bekümmert und älter, als sie den Jahren nach war. Sie war abgemagert und sonnenverbrannt. Der Strohhut hielt die Sonnenstrahlen nicht ab, wenn sie mit Tim
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