Historical Weihnachtsband 1991
draußen, und ich muß mit Ihnen reden."
„Ich höre."
„Drinnen, verdammt noch mal. Und jetzt habe ich langsam genug von dieser alten Flinte."
„Ich habe leider keine bessere, nachdem die Armee mir die Aushändigung der Muskete verweigerte, mit der mein Mann den Rückzug General Washingtons von Brooklyn Heights deckte, bevor er sich für sein Vaterland totschießen ließ."
Beth war mit sich und der Welt uneins. Am liebsten hätte sie Jerrod umarmt oder ihn erwürgt. Dieser innere Zwiespalt erschreckte sie. Widerstandslos ließ sie sich die Waffe aus der Hand nehmen und von Jerrod ins Haus führen. Jetzt war er ganz korrekt, kerzengerade aufgerichtet, gewohnt, zu befehlen und keinen Widerstand zu dulden. Das tröstete sie und machte sie gleichzeitig zornig.
Drinnen in der Küche trat Beth von dem Ankömmling weg und wandte ihm den Rücken. Sie zog das Tuch enger um sich und verschränkte die Arme vor der Brust.
Ein einziger Blick auf das Gesicht des Mannes, leicht gerötet vom schwachen Glühen des niedergebrannten Feuers, würde genügen, ihre Entschlossenheit zu zerbrechen.
Hinter sich hörte Beth, wie Jerrod Ross die Tür schloß, die beiden Gewehre auf den Boden stellte und näher schritt. Er nahm sich nicht einmal Zeit, die Pelerine abzunehmen. Seine körperliche Nähe schien verzehrende Hitze auszustrahlen. Beth erwartete heftige Anschuldigungen. So traf es sie völlig unvorbereitet, daß er hinter ihr zu stehen kam und ihr behutsam die Hände auf die Schultern legte.
„Das mit dem Obstgarten tut mir wirklich leid. Sie hätten meinen Männern nur vorzuschlagen brauchen, sich mit mir ins Einvernehmen zu setzen."
„Aber sie handelten doch auf Ihren Befehl. Wie war das? Zwei Wagenladungen bei Einbruch der Dunkelheit, nicht wahr?"
„Seien Sie nicht so spitz. Ich bin nun einmal dafür verantwortlich, daß gewisse Befehle ausgeführt werden."
Beth riß sich unwillig los und brachte hastig eine gewisse Entfernung zwischen sich und ihn. Mit dem Rücken zur Wand stehend, vor ihm, der ganz nah auf sie zutrat, beide Hände neben ihrem Kopf gegen die Täfelung stützte, fand sich Beth dann allerdings erst recht in die Enge getrieben.
„Was in aller Welt wollen Sie denn noch von mir?" fragte sie mit stockendem Atem.
„Vielleicht das Lieblingsschaf meines Kindes oder noch ein Stück Apfelkuchen, während Ihre Leute die Bäume umhauen, auf denen diese Äpfel gewachsen sind, oder was?"
„Hol's der Teufel", unterbrach er sie. „Ich weiß nicht. Vielleicht nur ein bißchen Wärme, Verständnis. Vielleicht will ich aber auch
nur das eine." Er drückte sie sanft gegen die Wand zurück und lehnte sich mit dem ganzen Körper schwer dagegen: Brust an Brust, Hüfte an Lende, Schenkel an Schenkel. Mit den Lippen suchte er die ihren, verlangend, fordernd, und legte die Hände um Beths Taille. Sofort bog sie sich ihm entgegen, als hätte sie sich nach seiner Berührung gesehnt.
Wie dieser Mann sie verwirrte! Er brachte ihr keinerlei Wärme oder Verständnis entgegen, die er seinerseits von ihr verlangte. William hatte ihr das gegeben. Jerrod Ross war gefahrlich und unberechenbar. Warum also drängte alles in ihr zu ihm hin?
Konnte sie seine Treue zu einer Regierung schätzen, wenn dieselbe Regierung alle Werte in Frage stellte, die sie selbst liebte und die ihr teuer waren? Eine Regierung, die sie und ihr Kind in der Existenz bedrohte?
„Jerrod", sagte sie atemlos und spürte, wie er mit den Lippen ihre Kehle strich.
„Jerrod, das alles ist so verwirrend." Natürlich wußte sie, daß sie ihm nicht noch mehr Freiheiten dieser Art einräumen sollte, aber gleichzeitig sehnte sie sich mit jeder Faser ihres Körpers danach.
Jerrod Ross hob den Köpf und schaute hingerissen in ihr glühendes Gesicht. Endlich flüsterte er: „Ich weiß, dieser Krieg. Ich komme und verschwinde, und dann geschieht das zwischen uns . . . Mir geht es ebenso. Aber ich werde euch beide beschützen, das schwöre ich. Bitte, vertrau mir." Er zog Beth von der Wand weg und nahm sie fest in die Arme, ohne den Blick von ihr abzuwenden. „Solange ich in der Stadt bin, kann es immer wieder zu solchen unliebsamen Zwischenfällen kommen.
Wenn ich dagegen hier Quartier beziehen könnte ..."
„Hier? Quartier?"
„Ja, sagen wir, ich und vier meiner Leute." Er gab sich alle Mühe, diese Worte so beiläufig wie möglich klingen zu lassen, so, als wäre ihm diese Möglichkeit gerade erst in den Sinn gekommen. Er wollte sie schützen, in ihrer
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