Historical Weihnachtsband 1992
aus einem ihrer alten Kleider geschneidert hatte. Emma, die ein Kleid aus demselben Stoff trug, hing mit einem Arm an ihrer Hand. Eine andere, sehr viel größere, dunkle und kräftige Hand ruhte auf der Schulter der Kleinen.
Die gleiche Hand, die meinen Körper Nacht für Nacht so zärtlich gestreichelt hatte, dachte Sara bitter.
Sie machte einen Schritt nach vorn und versuchte herauszufinden, wer noch im Raum war. Ein Blaurock! Sie hielt sich vor Schreck die Hand vor den Mund. Lieber Gott, wie viele mochten noch da drinnen sein? Ob sie wohl bewaffnet waren?
Sie schlich leise zurück zu ihrem Vorratsschrank, in dem sie immer das Gewehr aufbewahrte. Es war nicht da. Natürlich nicht. Robert. . . nein Ralph . . . hatte es nach dem Reinigen nicht wieder zurückgestellt. Oder ob er vielleicht die Yankees damit in Schach hielt?
Sara wollte kein Risiko eingehen. Sie ging leise durch die Küche nach draußen und eilte zum Holzschuppen, um sich dort einen kräftigen Stock zu holen. Irgendwie kam ihr die Situation komisch vor. Hatte sie nicht vor genau einer Woche die gleiche Szene schon einmal erlebt? Und war wirklich Weihnachten gewesen? Oder träumte sie dies alles nur, aus lauter Angst, Sehnsucht und Einsamkeit?
Sara verscheuchte ihre Unsicherheit. Zu allem entschlossen, stieg sie die Stufen zur Veranda wieder hoch und ergriff energisch den Türknopf.
7. KAPITEL
Jetzt sprach Ralph gerade. Seine Stimme klang schärfer und tiefer als sonst. Fast barsch. Sara achtete instinktiv darauf, nicht gesehen zu werden, und bewegte sich lautlos vorwärts. Wenn er wirklich sein grausames Spiel mit ihr getrieben hatte, würde sie . . .
„Aber Lieutenant, ich wollte ja zurückko . . ."
„Warum haben Sie es dann nicht getan, Corporal?" fragte Ralph mit schneidender Stimme.
„Nun ja, Sir. Das war so", hörte sie wieder den anderen Mann. „Burden hat gesagt, daß . . ."
„Hat ein Soldat ohne Dienstgrad mehr zu sagen als ein Corporal?"
„Nein, Sir."
„Habe ich Sie als meinen Vertreter zurückgelassen oder nicht? Die Order lautete, in meiner Abwesenheit das Lager aufzuschlagen und den Tisch zu bauen."
„Jawohl, Lieutenant Mallory. So lautete Ihre Order."
Lieutenant Mallory?
„Warum zum Teufel haben Sie dann nicht..."
„Sir, ich bitte um Erlaubnis. Ich trage diesen Verband nicht, weil es jetzt so Mode ist.
Wir haben getan, wie sie sagten, und abgewartet. Als sie dann nicht wieder auftauchten, na ja . . ."
„Junge, ich konnte nicht zurückkommen. Hier ist eine Frau, die vorgibt, mit mir verheiratet zu sein. Zuerst jedoch hat sie mir ein Stück Feuerholz über den Schädel gezogen. Als ich nach dem Schlag wieder wach wurde, kannte ich weder meinen Namen, noch wußte ich, wo ich war. Erst Ihr Erscheinen hat mir mein Gedächtnis zurückgebracht."
Die vertraute Küche mit dem Geruch nach Winterkohl und Rosinenkuchen schien plötzlich dunkler zu werden. Vor Saras Augen begann alles zu verschwimmen. Sie griff nach dem Türpfosten und umklammerte mit der anderen Hand das Stück Kiefernholz. Eine Frau, die vorgab, mit ihm verheiratet zu sein?
Ralph sprach weiter. „Corporal, die Sache verhält sich . . ."
Sara fiel krachend der Knüppel aus der Hand.
„Hinter Ihnen, Sir", rief der Corporal. Er bewegte sich blitzschnell und drängte sich schützend vor seinen Lieutenant. Dabei verlor dieser beinahe das Gleichgewicht. Es gelang ihm, noch schnell Becky hochzunehmen und an sich zu pressen.
„Hu, Daddy, du tust mir weh", heulte die Kleine los. Als Sara das Kind hörte, löste sich ihre Erstarrung.
Sie stürmte in das Zimmer und wurde von dem glänzenden Gewehrlauf einer Springfield empfangen. „Bitte um Verzeihung, Madam, aber würden Sie die Hände hochnehmen und sich rückwärts zur Wand bewegen", befahl ihr der fremde Soldat.
Sara gehorchte wie unbeteiligt. In ihrem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Der Junge war kaum älter als Jimmy und hatte den gleichen jugendlich frischen Gesichtsausdruck. Doch mit dem Gewehr in seiner Hand war nicht zu spaßen.
„Mama", schrie Becky.
„Sara, ganz ruhig. Es ist alles in Ordnung", sagte der Mann, den sie bisher als Robert gekannt hatte und der jetzt Lieutenant Ralph Mallory war.
Ralph sprach absichtlich mit gedämpfter Stimme. Er benutzte den gleichen Tonfall, mit dem er schon oft sein verängstigtes Pferd beruhigt hatte. Aber war denn wirklich alles in Ordnung? Nein, ganz und gar nicht, und er wußte nicht, wie er die Angelegenheit jemals wieder in Ordnung bringen
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