Historical Weihnachtsband 1993
früh auf den Beinen und fertig angekleidet, als Matthew auf der Schwelle erschien, schlaftrunken und mit zerzaustem Haar. Sie mußte ihn immerzu ansehen. Am Abend hatten Schmerzen und Übermüdung in seinem Gesicht gestanden, nun war nichts davon mehr zu bemerken. Matthew wirkte stark, männlich, vergessen schien die Kugel, die ihn in Lauras Haus gebracht hatte.
„Guten Morgen", sagte sie weich und wies auf den rußgeschwärzten Topf auf dem Herd, „dort ist Kaffee. Und ich habe dir noch ein paar Brötchen übriggelassen." Sie wickelte gerade einige Scheiben Toast und ein Stück kaltes Huhn in ein viereckiges Leinentuch. Das sollte heute ihr Mittagessen in der Schule werden. „Deine Jacke und das Hemd sind wieder sauber, und ich habe beides auch geflickt." Laura zeigte auf den Stapel ordentlich zusammengefalteter Kleidung auf einem Stuhl.
„Vielen Dank. Ich werde dein Pferd anspannen." Matthew hob das Pferdegeschirr, das er ausgebessert hatte, vom Haken.
„Das ist nicht nötig, ich kann es selber tun."
„Nein, ich tue es." Bevor sie widersprechen konnte, nahm er seine Rindslederjacke und schlenderte zum Stall hinüber.
Bald darauf hörte sie das Knarren der Räder, als Matthew Pferd und Wagen auf den Vorplatz führte. Eine Decke über dem Arm und ein warmes Überschlagtuch um die Schultern gelegt, trat Laura aus dem Haus. Es hätte sich natürlich nicht geschickt, daß die Schullehrerin von Bitter Creek gesehen worden wäre, wie sie die alte Lederjacke ihres Vaters trug. Die blieb den Arbeiten auf der Farm vorbehalten. Ihre dunkle Mähne war wieder in einem strengen Knoten gebändigt, das ziemlich formlose Kleid bis unters Kinn zugeknöpft. Dennoch war sich Matthew der schlanken, überaus weiblichen Gestalt darunter geradezu schmerzhaft bewußt.
„Sieht aus, als wollte es den ganzen Tag schneien." Er schaute prüfend zum Himmel hinauf. „Vielleicht solltest du heute nicht daran denken, in die Stadt zu fahren."
„Ich muß. Die Kinder warten auf mich."
Als sie zu dem Gefährt trat, nahm Matthew ihren Arm und war ihr beim Aufsteigen behilflich. Statt sie aber ganz hinaufzuheben, beugte er den Kopf zu ihr nieder, so daß seine Lippen sehr dicht über den ihren waren. „Das ist aber schade."
Laura zitterte, während sie seinen Atem an ihrem Mund spürte.
„Es gäbe so vieles, was ein Mann und eine Frau an einem verschneiten Tag wie diesem tun könnten."
„Dann wirst du das eben allein tun müssen, fürchte ich."
„Zu dem, an das ich denke, müssen es aber zwei sein." Er sah ihr tief in die Augen.
Dann küßte er sie ganz leicht, so, als hätte nur eine Schneeflocke Laura berührt.
„Matthew, ich ..."
Weiter kam sie nicht, denn seine Lippen verschlossen die ihren mit einem leidenschaftlichen Kuß.
Matthew hatte ihr keine Zeit gelassen, sich zu wehren. Ein Beben lief durch ihre Glieder, wie betäubt neigte sie sich ihm zu. Die Decke glitt von Lauras Arm und in den Schnee zu ihren Füßen, sie bemerkte es nicht, auch nicht, daß ihr das Tuch von den Schultern fiel. Keiner von ihnen schien sich darum zu bekümmern.
Matthew legte beide Arme um Laura und preßte sie eng an sich. Die Hitze seines Körpers strömte in den ihren über. Die Flamme in seinem Blut entzündete das Feuer in ihr, bis sie beide brannten.
„Das hätte ich schon gestern abend tun sollen", flüsterte er an ihrem Munde, ließ ihr aber keine Möglichkeit, ihm zu antworten, sondern küßte sie von neuem. Diesmal war der Kuß so fest, so verlangend, daß Laura von einer derartigen Schwäche überfallen wurde, wie sie nur Matthews Berührung verursachen konnte.
Wie weich ihre Lippen waren, wie unschuldsvoll ihre Zärtlichkeiten! Laura schien Matthew so rein wie ein Bergbach, umgeben von dem Duft der Koniferen und Kräuter. Rein und unberührt. Das waren die Begriffe gewesen, die er in der Erinnerung immer mit Laura in Verbindung gebracht hatte. Wieder und wieder küßte er sie, spürte die Flamme der Begierde aufsteigen und wußte, daß er sich von Laura lösen mußte, wenn er sie nicht auf der Stelle hier draußen im Schnee nehmen wollte. Doch Vernunft und Besinnung unterlagen. Das wilde Verlangen trieb Matthew, die Lippen Lauras noch einmal zu fühlen.
„Matthew, Matthew!"
Er vernahm ihren leisen Aufschrei irgendwo in den hintersten Regionen seines Verstandes und zwang sich in die Wirklichkeit zurück. Als er den Kopf hob, bemerkte er, wie voll ihre Lippen, wie weich ihre Blicke waren. Einige Locken hatten sich schon
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