Historical Weihnachtsband 2010
nicht“, warf Kit ein. „Alle Informationen deuten darauf hin, dass sie den Kanal heraufkommen, um im Flachland auf Alvas Armee zu treffen. Dann werden sie Englands Ostküste angreifen!“
„Das glaube ich auch. Aber unsere Spione könnten sich täuschen. Sollte die spanische Flotte tatsächlich Kurs auf Irland nehmen, vertraue ich darauf, dass Ihr mir auf schnellstem Weg Nachricht davon gebt.“ Drake zwang sich zu einem Lächeln. „Und das tut auch die Königin. Ihr habt sie beeindruckt, mein Junge … und das nicht nur mit Eurem hübschen Gesicht“, versuchte er zu scherzen. „Sie übertrug ausdrücklich Euch diese Aufgabe.“
Röte überflog das „hübsche Gesicht“. Wegen Elizabeths Schwäche für den, wie sie es nannte, hübschesten Vagabunden der Meere, hatte Kit von Drake und den anderen Kapitänen schon so einige Sticheleien ertragen müssen.
Zuerst hatte die Aufmerksamkeit der Königin Kit geschmeichelt. Wie auch nicht? Von einer Monarchin auserwählt zu werden, die in ihrem vierundfünfzigsten Jahr immer noch schlank und erstaunlich charismatisch war, konnte wohl jedem Mann zu Kopf steigen. Mein Gott, sie ließ den jungen Essex, dreißig Jahre jünger als sie, hinter sich herhecheln wie ein liebeskrankes Hündchen! Robert Dudley, zwanzig Jahre lang ihr viel geliebter Favorit, verlor fast seinen Kopf, als er vor ein paar Jahren heimlich die Countess of Hereford heiratete. Und trotzdem klammerte er sich an jeden Krümel Gunst, den seine Königin ihm gewährte. Selbst Drake, der durch die ganze Welt gesegelt war und unermessliche Reichtümer angehäuft hatte, beugte sich den Launen und dem Willen der Königin.
So groß war die Macht der Frau, die England regierte.
Kit hat diese Macht zum ersten Mal gespürt, als er ihr, reichlich ausgestattet mit Schätzen und Geschenken, die von einem gefährlichen Überfall auf die spanische Flotte stammten, vorgestellt worden war. Während der letzten Monate hatte er sie sogar noch stärker zu spüren bekommen, als Elizabeth ihn durch Privataudienzen und, wie einige hinter vorgehaltener Hand munkelten, auch durch persönliche Zuneigung ausgezeichnet hatte.
Kit hatte sich um das Getuschel nicht gekümmert und sich seine eigene Meinung gebildet. Doch in seinem Innersten konnte er es nicht erwarten, den Hof zu verlassen. Die engstirnigen Eifersüchteleien und Intrigen im Umkreis der Königin wirkten auf ihn wie der Gestank von fauligem Wasser. Er war kein Höfling noch wurde er vom Ehrgeiz nach Titeln oder politischen Positionen gequält. Alles, was er sich wünschte, war ein solides Deck unter seinen Füßen.
Er konnte sich nicht vorstellen, für den Rest seiner Tage wie ein Hündchen an Elizabeths Röcken zu hängen. Und genauso wenig wollte er bei dem schüchternen, kränklichen, kleinen Frauchen bleiben, das er vor vielen Jahren geheiratet hatte. Bald genug würde er von seiner widerborstigen Frau getrennt sein. Doch wie er jetzt entdecken musste, hatte die Königin ein viel engeres Netz um ihn gewoben.
Keines von Kits Gegenargumenten konnte Drake zum Einlenken bewegen. Walsh müsste den Befehl der Königin befolgen und damit Schluss.
Knapp eine Stunde später stand Kit auf dem Achterdeck der Gull und wünschte alle Frauen zum Teufel, während er zusah, wie das Geschwader den Hafen von Sutton verließ. Eine nach der anderen steuerten die farbenprächtigen Galeonen ins tiefe Wasser. Die Revenge als Erste, dann die Triumph, gefolgt von der riesigen 800-Tonnen-Galeone Mary Rose , benannt nach einem anderen Schiff gleichen Namens, das einige Jahre zuvor gesunken war.
Bunte Wimpel flatterten in der leichten Brise und streiften beinahe die Wellen. Fanfaren erschallten, und Kommandorufe dröhnten übers Wasser. Mit scharfem Knall wölbten sich die schlaffen Segel, als der Wind in sie fuhr. Die Zuschauer am Ufer und auf dem Hochplateau über dem Hafen, bekannt als Hoe , brachen in Jubel aus und riefen den Schiffen gute Wünsche für ihre Fahrt nach. Kurz darauf donnerten die Geschütze an der Küste ein letztes Lebewohl.
Den Klang der Kanonen noch im Ohr wandte Kit der tapferen Parade den Rücken zu und gab Befehl, die von der Königin bewilligten zusätzlichen Vorräte an Bord zu nehmen. Sein stellvertretender Kommandant war bald Herr der Lage. Der drahtige Grieche hatte dreißig seiner achtunddreißig Jahre auf See verbracht und kannte die Gull so gut wie sein Herr.
Kit strich sich mit der Hand durch die Haare, überließ Xanthos die Arbeit und überlegte,
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