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Hitzetod

Hitzetod

Titel: Hitzetod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Pearson
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der Seitenstraßen einbogen, fiel Sallys Blick auf eine spindeldürre osteuropäische Frau, die an eine Mauer gelehnt dastand, das Gesicht eine Landkarte des Elends, die Flecken auf der Haut und der seelenlose Hunger in den Augen die Spuren ihrer Sucht. Ein Paradebeispiel für völlig aus dem Ruder gelaufenes Konsumdenken.
    »Meine Pension würde ich darauf nicht verwetten, Chef.«
    Delaney beobachtete, wie ein Obdachloser, vom Äußeren her ungefähr siebzig, vermutlich jedoch viel jünger, den Hosenschlitz aufmachte und an die mit Graffiti beschmierte Wand urinierte, die nördlich des Bahnhofs verlief.
    »Vermutlich nicht.«
     
Jenny Morgan rieb sich die losgebundenen Handgelenke an den Stellen, wo die Nylonschnur sie wundgescheuert hatte. Die Frau saß nicht weit von ihr entfernt und säbelte Scheiben von einem ganzen Brotlaib ab. Das Tranchiermesser war dafür nicht sonderlich gut geeignet, und die Frau fluchte leise, während sie damit kämpfte. Jenny warf einen verstohlenen Seitenblick auf die Leiter, die vom Dachboden aus hinunterführte, und überlegte, ob sie darauf zustürmen sollte. Doch die Frau, die sich ihre Tante nannte, blickte auf und lächelte.
    »Es dauert nicht mehr lange, dann sind wir hier weg.«
    Jenny nickte, schluckte trocken.
    »Verstehst du, warum ich dich erst einmal fesseln musste?«
    Jennys Mund zuckte, das Lächeln hing wie eine aufgemalte Grimasse schief an ihren Lippen.
    »Sie werden uns suchen. Wir müssen vorsichtig sein. Verstehst du das?«
    Wieder nickte Jenny. Die Frau begann von neuem, an dem Brotlaib herumzusäbeln.
    »Angel« war ihr so anders vorgekommen, als sie im Internet miteinander gesprochen hatten. Carol Parks hatte sie gewarnt, aber Jenny hatte es besser gewusst. Sie wusste es immer besser. Das Mädchen schlang die Arme um sich, das Messer in Candys Hand und den verrückten Ausdruck in den Augen der Frau immer im Blick. Und sie hatte Angst. Sehr, sehr große Angst.
     
Delaney warf zwei der Briefe auf die Seite und gab Sally den von der Bank.
    »Setzen Sie sich mit denen in Verbindung und recherchieren Sie sämtliche Transaktionen, die sie seit ihrer Entlassung aus Holloway getätigt hat.«
    »Wird gemacht.«
    Sally zog los, und Delaney sah ihr nach. Sie hatte alles, was er einst gehabt hatte. Jugend, Ehrgeiz, Intelligenz … und Hoffnung. Etwas, was ihm vor langer Zeit abhandengekommen war.
    Er wandte sich ab und ging die Treppe zum Vernehmungsraum Nummer eins hinunter. Die Brüder Morgan hatten inzwischen Zeit gehabt, gründlich über die Dinge nachzudenken, und er hoffte, dass aus dem Sumpf ihrer Hinterwäldlerhirne irgendetwas zu Tage gekommen war. Irgendeine Erinnerung, ein nützliches Detail. Irgendetwas, das ihnen helfen würde, Jenny zu finden, bevor es zu spät war.
    Jake Morgan saß mit hängendem Kopf da, zwischen den dicken, kräftigen Fingern eine Papierserviette, die er in alle Richtungen verdrehte und verbog. Howard Morgan blickte hoffnungsvoll auf, als Delaney den Raum betrat.
    »Gibt’s was Neues?«
    »Wir verfolgen ein paar Spuren.«
    »Was für Spuren?«
    »Nichts Bestimmtes. Wir versuchen immer noch, ihren Aufenthaltsort zu lokalisieren.«
    »Sind sie noch in London?«
    »Das wissen wir nicht.«
    Jake Morgan warf die Papierserviette auf den Boden und stand auf, seine wuchtige Gestalt ließ Delaney klein erscheinen.
    »Sie wird ihr nicht wehtun, oder?«
    Delaney bemühte sich weiterhin um einen gelassenen, beruhigenden Ton. »Nicht, wenn wir das irgendwie beeinflussen können.«
    Doch so leicht war Jake nicht zu beschwichtigen. Er schüttelte den Kopf, hielt die Tränen zurück, die sich in seinen kindlichen Augen zu sammeln begannen. »Sie tut Menschen weh. Das macht sie gern.«
    Delaney legte ihm freundlich eine Hand auf den Arm. »Erzählen Sie mir von ihr, Jake.«
    »Sie hat sich verändert, nachdem Ma gestorben war, hab ich recht, Howard?«
    Howard nickte, und unter der Oberfläche seiner sorgenvollen Augen kochte Wut.
    »Und Sie haben keine Ahnung, wo sie sein könnte? Wohin sie gegangen sein könnte? Irgendwelche Freunde? Verwandte? «
    »Gibt es keine.« Howards Stimme war schroff vor Schmerz.
    Da ist aber noch etwas, dachte Delaney; war es Reue, war es Furcht? Er musterte den Mann in dem Versuch, ihn zu durchschauen. Vergeblich. »Sind Sie sicher, dass Sie in letzter Zeit keinen Kontakt zu ihr hatten, Howard?«
    Verärgert stand Howard neben seinem Bruder auf. »Hab ich Ihnen schon gesagt.«
    »Sie haben uns eine Menge gesagt. Wovon nicht

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