Hitzschlag: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)
gesehen hatte, dass der Anruf aus dem Präsidium kam. »Ich bin praktisch schon auf dem Weg zu euch.«
»Darum geht’s nicht«, entgegnete Werneuchen, und seine
Stimme klang, als habe er ein Lächeln auf den Lippen. »Ich habe hier die Nummer, die euch interessiert.«
Euch?
Das hieß dann wohl Verhoeven und sie …
»Du weißt schon, die Nummer von dieser Reporterin, Jo Ternes«, erklärte Werneuchen. »Aber Verhoeven meldet sich grad nicht, und da dachte ich …«
Winnie Heller schenkte dem leeren Stuhl gegenüber ein grimmiges Nicken. Klar! Der Einsatz war vorbei. Da musste sich der hohe Herr erst mal um die heilige Familie kümmern. Sie rammte den Strohhalm, den die Kohlensäure aufgetrieben hatte, wieder in ihren Cola-Becher zurück und nahm einen kräftigen Zug. Wahrscheinlich belästigte er gerade in diesem Moment seine Frau schon wieder mit Verhaltensmaßregeln zum Thema Schonung vor der Niederkunft. Und das, obwohl Silvie Verhoeven doch bereits hinlänglich bewiesen hatte, dass sie dergleichen allein zustande brachte …
»Ist schon gut«, unterbrach sie ihren Kollegen, der sich noch immer in wortreichen Erklärungen erging. Wahrscheinlich, damit sie nicht das Gefühl hatte, dass alles an ihr hängenblieb. »Gib mir die Nummer ruhig durch. Ich werd gleich mal mein Glück versuchen.«
»Das hab ich schon getan«, erklärte Werneuchen. »Leider geht sie nicht dran.«
»Wo hast du’s denn probiert?«
»Bei ihr zu Hause und auf dem Handy.«
»Okay«, sagte Winnie, »aber gib mir die Nummern trotzdem. «
Werneuchen diktierte ihr beide. »Was mich wirklich wundert, ist, dass sie nicht an ihr Handy geht«, fügte er hinzu. »Diese freien Journalisten leben doch eigentlich davon, immer und überall erreichbar zu sein.«
»Tja …« Winnie wischte den letzten Rest Ketchup mit einer Handvoll Pommes auf und schob sie sich in den Mund.
»Ach, übrigens war Lübke vorhin hier …«
Sie horchte auf. »Du meinst, bei euch im Präsidium?«
»Ja, er wollte nur mal kurz hallo sagen.«
»Sag nur, er arbeitet schon wieder.«
»Keine Ahnung«, räumte Werneuchen ein. »Angezogen war er wie immer. Aber er sah richtig erholt aus.«
»Ja, nicht wahr?«, sagte Winnie mit einem Anflug von Stolz. »Ich glaube, die See hat ihm gutgetan.«
»Aber den absoluten Oberhammer finde ich, dass er nicht mehr raucht.«
Sie riss die Augen auf. »Tut er nicht?«
»Wohl nicht«, antwortete Werneuchen, den die Heftigkeit ihrer Reaktion ein wenig ins Schlingern zu bringen schien. »Uns hat er erzählt, dass sie’s ihm in der Klinik abgewöhnt haben und dass er der Meinung ist, er könnte jetzt genauso gut dabei bleiben, wo’s nun mal so ist, wie es ist … Oder so ähnlich. «
Winnie lächelte. Das klang tatsächlich nach Lübke! »Ich muss jetzt Schluss machen«, sagte sie eilig. »Wir sehen uns ja gleich noch.«
»Okay, bis gleich.«
Sie legte das Handy neben ihr abgegessenes Tablett, wischte sich die Hände an einem Stapel Papierservietten ab und sah wieder aus dem Fenster. Gerade verschwand der schlafende Taxifahrer endgültig aus ihrem Blickfeld, und ein Passat mit einer munteren Familie an Bord rückte nach. Die Frau auf dem Beifahrersitz verrenkte sich beinahe den Kopf in dem Bemühen, ihre beiden Töchter im Fond zur Ruhe zu bringen, die laut Aufkleber auf der Heckscheibe »Leonie« und »Fenja« hießen. Amüsiert verfolgte Winnie, wie das linke der beiden weißgekleideten Mädchen seiner brüllenden Schwester zunächst mit einem geschickten Griff einen völlig zermanschten Schokoriegel entwand und diesen anschließend gewissenhaft an sich herunter schmierte, was ihre Mutter mit
zunehmend resignierten Gesten zu verhindern suchte – freilich ohne jeglichen Erfolg.
Der junge Vater neben ihr verdrehte entnervt die Augen, und Winnie Heller schenkte ihm ein mitleidiges Lächeln, während sie sich einmal mehr darüber wunderte, wie viel und wie bereitwillig die Menschen etwas über sich selbst verrieten. Wenn man nur allein die Aufkleber auf diesem Auto betrachtete, wusste man schon, wie die Kinder hießen, dass sie Milumil-Folgemilch genossen hatten oder noch genossen, dass die Familie christlich orientiert war, einen Beagle ihr Eigen nannte und irgendwann vor vermutlich nicht allzu langer Zeit im Frankfurter Zoo gewesen war. Winnies Augen blieben an jenem Sticker hängen, der am weitesten rechts klebte, und eine flüchtige Assoziation zuckte durch ihren Kopf.
Ein Zoo. Tiere. Reptilien.
Und ein
Weitere Kostenlose Bücher