Hitzschlag: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)
Dieser Fred war nicht der Hellste und dazu ausschließlich mit sich selbst beschäftigt. Da konnte man es ruhig riskieren, sich noch einmal Gewissheit zu verschaffen, ohne fürchten zu müssen, dass ihn die Fragerei auf den Plan rief.
Und Fred hatte genickt. Genau, das sei der Mann. Absolut vertrauenswürdig, wie gesagt. Bloß vielleicht ’n bisschen verschlossen.
Sie hatten sich verabschiedet, und Jo hatte einen anderen Zooangestellten gefragt, wo sie Damian Kender finden könne.
Schon von weitem war sie sofort sicher gewesen, dass sie denselben Mann vor sich hatte, der am Nachmittag im Sucher ihrer Kamera aufgetaucht war.
Sie hatte ihn eine Weile beobachtet, jedoch beschlossen, zunächst nicht in die Offensive zu gehen. Sie brauchte mehr Informationen. Und natürlich brauchte sie auch einen Beweis.
Die Tatsache, dass Kender an diesem Nachmittag mit dem Wagen seines Kollegen im Cargo-Bereich des Frankfurter Flughafens gewesen war, um eine klimatisierte Spezialbox
von einem Händler aus den USA abzuholen, reichte im Traum nicht aus, um ihm irgendwas ans Zeug zu flicken, selbst wenn sich tatsächlich irgendwer erinnerte, den Hyundai auch in der Nähe des Wiesbadener Südfriedhofs gesehen zu haben.
Und der Rest würde ohnehin verdammt schwer zu beweisen sein …
Die einzige Möglichkeit war, Damian Kender im Auge zu behalten. Und zwar Tag und Nacht. Wenn er der Artist war, würde Jo ihn auf diese Weise zwangsläufig bei irgendetwas beobachten, das ihn verriet – früher oder später. Und sie war ein Mensch, der schon von Berufs wegen über ein großes Maß an Geduld verfügte. Sie hatte kein Problem damit, auf ihre Chance zu warten, vorausgesetzt, dass das zu erwartende Ergebnis der Mühe lohnte.
Als der Zoo seine Pforten geschlossen hatte, war sie zusammen mit den anderen Besuchern gegangen. Sie hatte sich in der Nähe der Tiefgaragenausfahrt postiert und gewartet, dass Damian Kenders dunkelgrauer Nissan auftauchte. Doch Stunde um Stunde war verstrichen, ohne dass er erschienen wäre.
Jo hatte in ihrem Wagen gesessen, mit wild knurrendem Magen und stetig zunehmendem Durst, sie hatte ihr iPhone befragt, doch im Gegensatz zu den diversen Hinterlassenschaften des mitteilungsfreudigen Fred verriet das Internet rein gar nichts über Kender. Nicht einmal seine Adresse.
Das Einzige, was Jo herausbekommen hatte, war die Tatsache, dass er Reviertierpfleger im Exotarium war. Also eine verantwortungsvolle Position. Vielleicht hatte es ja tatsächlich einen Notfall gegeben, der Kender zum Bleiben zwang. Oder aber er war längst fort. Vielleicht hatte er sein Auto an diesem Abend stehen lassen und die U-Bahn genommen. Die Leute taten die unmöglichsten Dinge, und erfahrungsgemäß war nichts wirklich berechenbar.
Irgendwann – es war längst dämmrig geworden – hatte Jo
genug vom schnöden Herumsitzen gehabt und war über die Mauer auf das Zoogelände zurückgeklettert, um zu sehen, was mit Kender war.
Und jetzt tauchte hinter der Kurve der Eingang des Exotariums vor ihr auf.
Das Gebäude wirkte dunkel. So als ob dort nur die Notbeleuchtung brannte.
Er ist tatsächlich weg, dachte Jo mit einer Mischung aus Ärger und Erleichterung. Und wenn ich richtig Pech habe, überfällt er gerade jetzt, in diesem Augenblick, sein nächstes Opfer. Etwas, bei dem ich Zeuge gewesen wäre und aus dem ich die Story des Jahrhunderts hätte machen können, wenn ich mich nicht so gottverdammt dämlich angestellt hätte …
Trotz des wenig ermutigenden Funzellichts im Inneren des Gebäudes drückte Jo gegen die gläserne Eingangstür. Doch die Tür gab nicht nach.
Sie legte beide Hände an die Scheibe, um besser sehen zu können, doch alles, was sie erkannte, war das verwaist wirkende Zuhause der Pinguine links des Eingangs, das sie bei ihrem ersten Besuch vor ein paar Stunden flüchtig zur Kenntnis genommen hatte. Die Abendhitze pochte rings um sie wie das Herz eines Riesen, und Jo ließ frustriert die Hände sinken.
Was nun? Wo lag der Fehler? Was, zur Hölle, hatte sie falsch gemacht?
Wo war der Schritt, den sie allen anderen, insbesondere der Polizei, voraus war? Wo war ihr Vorsprung?
Während sie noch überlegte, registrierte sie auf einmal ein zweites Gesicht in der spiegelnden Glasscheibe vor sich. Es schwebte ein Stück über ihrem, ein fleischfarbenes Dreieck, überglänzt von demselben lichten Blondhaar, das sie vorhin im Sucher ihrer Kamera gesehen hatte.
Kender!
Jos
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