Hitzschlag: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)
Jo Ternes steckt in ernsten Schwierigkeiten«, antwortete Winnie.
»Also hat sie tatsächlich mehr gesehen, als sie zugegeben hat«, folgerte Verhoeven mit unterdrücktem Ärger.
Winnie nickte. »Scheint so.«
»Und jetzt?«
»Versuchen Sie’s bei ihr zu Hause«, rief Hinnrichs Werneuchen zu.
Dieser tippte ein paar Befehle in seinen Computer und starrte auf die Informationen, die der Bildschirm gleich darauf anzeigte. »Sie wohnt in Frankfurt. Im Stadtteil Bockenheim. « Er gab die Adresse bei Google Earth ein. »Nummer 156 ist ein Hochhaus«, berichtete er, nachdem er das Satellitenbild vor sich hatte. »Sechzehn Parteien pro Eingang. Eins von fünf identischen Gebäuden in dieser Gegend.«
Das passte! Winnie Heller biss sich auf die Lippen. Diese Jo Ternes war der Typ, der mehr oder weniger aus dem Koffer lebte und der es ganz und gar nicht einsah, mehr als unbedingt nötig für eine Mietwohnung zu bezahlen, die er ohnehin nur alle Jubeljahre mal zu Gesicht bekam.
»Schicken Sie sofort ein Team hin«, entschied Hinnrichs. »Wenn sie nicht öffnet, sollen die Kollegen die Tür aufbrechen. «
»Ich glaube nicht, dass sie zu Hause war oder noch ist«, sagte Winnie Heller mit skeptischem Blick auf den Bildschirm ihres Kollegen.
»Ich auch nicht«, stimmte Verhoeven ihr zu. »Aber vielleicht finden wir dort irgendeinen Hinweis darauf, wo sie hingegangen sein könnte.«
»In der Redaktion jedenfalls hat sie sich nach dieser Sache auf dem Friedhof noch nicht wieder blicken lassen«, erklärte Werneuchen.
»Natürlich nicht.« Winnie Heller schnaubte verächtlich. »Diese Frau ist die klassische Einzelkämpferin. Sie redet grundsätzlich nicht über das, was sie denkt oder tut, und sie weiht niemanden in ihre Pläne ein. Und wenn sie irgendwann aus der Deckung kommt, dann mit einem Ergebnis, das sie bereits so gründlich in alle Richtungen abgeklopft hat, dass es wasserdicht ist.«
»Sie ist gut«, nickte Verhoeven.
»Allerdings.« In Winnies Gesicht fochten Ärger und Sorge einen erbitterten Kampf aus. »Darum hätte ich sie gar nicht erst gehen lassen dürfen«, murmelte sie leise vor sich hin. »Ich wusste ja, dass sie etwas zurückhält.«
»Sie hätten keinerlei Handhabe gehabt, sie festzuhalten«, widersprach Verhoeven, und auch Hinnrichs hob abwehrend die Hände.
»Jo Ternes ist keine Frau, die sich aufhalten lässt«, sagte er. »Auf dieser Eigenschaft beruht ihr beruflicher Erfolg. Egal, wie hoch das Risiko ist, sie geht es ein.«
Winnie sah aus dem Fenster, vor dem die Schwärze eines völlig überhitzten Sommerabends wie ein nasser Vorhang klebte. »Tja«, sagte sie, »dann können wir nur hoffen, dass sie sich dieses Mal nicht verrechnet hat.«
12
Jos Körper vibrierte vor Erregung und Angst.
Flirrende Spannung, Adrenalin pur.
Mit Kenders Schritten im Nacken hatte sie es für eine gute Idee gehalten, sich ins nächste Gebäude zu flüchten, und das war das nach dem Gründer des Zoos benannte Grzimek-Haus, in dem die nachtaktiven Tiere untergebracht waren. Aber inzwischen war sie nicht mehr sicher, ob sie nicht besser einfach weitergelaufen wäre. Zwar war von Kender nichts mehr zu sehen oder zu hören, aber Jo war viel zu erfahren, um dem Frieden so ohne weiteres zu trauen. Nachdem sie die Tür aufgestoßen hatte, war sie einfach drauf losgerannt, tiefer und tiefer in das verwinkelte Gebäude hinein. Der Weg, der die Besucher an den sorgfältig angelegten Gehegen vorbeiführte, verlief abschüssig, was im Inneren eines Gebäudes überaus desorientierend wirkte.
Der Boden war mit einem gummiartigen schwarzen Noppenbelag
ausgelegt, und Jo hatte Mühe, mit ihren Turnschuhen nicht allzu viel Lärm zu machen.
In den Gängen brannte ein unwirkliches blaues Licht. Jo drückte sich in die Ecke hinter einem Mauervorsprung und versuchte mit aller Macht, ihren bebenden Körper unter Kontrolle zu bringen. Sie hörte ihren eigenen pfeifenden Atem, fühlte den Schweiß, der an ihrem Nacken herunterlief, und lauschte in das bläuliche Dämmerlicht, das sie umgab. Zugleich ärgerte sie sich einmal mehr über sich selbst. Dass sie so dumm gewesen war, das iPhone bereits im Laufen zu benutzen. Dass sie nicht einfach gewartet hatte, auf eine bessere Gelegenheit. Auf einen Moment, der geeigneter war.
Was jetzt?, hämmerte es hinter ihrer Stirn. Was, verdammt noch mal, soll ich jetzt tun?
Zum Eingang zurückzukehren wagte sie nicht. Aber hier stehen zu bleiben schien ihr auch keine besonders gute
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