Hochzeit im Herrenhaus
Unbehagen zumindest eines Beobachters.
“Nein, Kindchen, das darfst du nicht tun”, mahnte Colonel Hastie erschrocken. “Das waren die Juwelen deiner Mutter! Bedeuten sie dir so wenig?”
Gleichmütig hob sie die Schultern – eine Geste, die sämtlichen Umstehenden bedeuten mochte, der Verlust ihrer Perlen würde sie nicht stören. Mit einer Ausnahme … Der junge Tom eilte davon, anscheinend in der Absicht, Hilfe zu holen. Ja, jetzt wurde die Zeit wirklich knapp.
“Nun, Mr. Fanhope, was sagen Sie dazu?”, fragte Annis. “Sind Sie bereit, Ihren ganzen Gewinn gegen diese Perlen einzusetzen? Bei unserem letzten Spiel?”
Drängend klopfte jemand Greythorpe, der sich gerade mit dem Gastgeber unterhielt, auf die Schulter. Als er sich umdrehte, schaute er in das ernste Gesicht seines jungen Cousins.
“Bitte, Deverel, komm mit mir!”, flehte Tom. “Du musst Miss Milbank zurückhalten. An alldem bin
ich
schuld … Aber auf mich würde sie nicht hören.”
Diese Aufforderung, in den Spielsalon zurückzukehren, überraschte Greythorpe nicht. Was genau Annis plante, wusste er nicht. Jedenfalls hatte sie ihn auf irgendetwas hinweisen wollen. Mit ausdrucksvollen, beschwörenden Blicken, die im krassen Widerspruch zu ihrer sonderbaren Koketterie gestanden hatten … Mit diesem frivolen Benehmen schien sie einen ganz bestimmten Zweck zu verfolgen. Aber warum glaubte Tom, er hätte sie dazu getrieben? Das verstand er nicht.
“Was meinst du, lieber Cousin?”, fragte er betont beiläufig, um seine Sorge zu verbergen. “Wieso nimmst du an, du könntest Miss Milbank irgendwie beeinflussen?”
“Warum sollte sie das denn sonst tun?”, klagte Tom und verwirrte Greythorpe noch mehr. “Sie hat versprochen, sie würde mir helfen – und mir das Geld leihen. Natürlich dachte ich nicht, sie würde solche Dummheiten machen. Und ich darf nicht zulassen, dass sie ihre Perlen verliert!”
Obwohl der Viscount noch immer nicht durchschaute, worum es ging – jetzt gab es zumindest
einen
Anhaltspunkt, der ihn beunruhigte.
Lebhaft erinnerte er sich an ein Gespräch, das er eines Abends mit Annis geführt hatte. Dabei hatte sie erstaunlicherweise erwähnt, ihrer Mutter seien nur wenige Andenken an ihre einst privilegierte Existenz geblieben, nachdem sie mit Arthur Milbank davongelaufen war, um ihn zu heiraten. In der schicksalhaften Nacht ihrer Flucht habe Lady Frances nur das Allernötigste mitgenommen, darunter die Perlen.
Und jetzt hielt Annis diesen Schmuck, das Erbe ihrer geliebten Mutter, sorgsam in Ehren. Niemals würde sie sich davon trennen.
Greythorpe stellte seinem Vetter keine weiteren Fragen. Stattdessen folgte er ihm ins Spielzimmer, wo Annis seine Ankunft sofort zur Kenntnis nahm. Doch sie wandte sich ihm nicht zu. Sie spürte die wachsende Anspannung des Publikums, sah einen Muskel in Charles Fanhopes Kinn zucken. Immer wieder schweifte sein Blick zu den schimmernden Perlen. Nachdem er die Herausforderung angenommen hatte, konnte sie nur noch hoffen, die Habgier würde ihn zu einem letzten verhängnisvollen Betrug verleiten.
Langsam verstrichen die Sekunden, und jede einzelne erschien ihr wie eine halbe Ewigkeit.
Greythorpe betrachtete die goldenen Münzen und Perlen, die in der Mitte des Tisches lagen. Dann musterte er Annis und ihren Gegner. Einer der beiden würde nach diesem Spiel viel reicher sein, der andere wesentlich ärmer.
Wie ruhig sie wirkten, wie sorglos trotz der Tatsache, dass einer von ihnen ein Vermögen einbüßen würde … Wie gut Annis ihre Gefühle kontrollieren konnte, wusste er. Auch das hatte ihn, neben all ihren anderen Vorzügen, von Anfang an beeindruckt. Die Aussicht auf einen hohen Gewinn bedeutete ihr vermutlich wenig. Umso schmerzlicher würde der Verlust ihrer Perlen sie treffen. Warum ging sie dieses Risiko ein?
Aus den Augenwinkeln sah er Colonel Hastie an seine Seite treten. Die buschigen grauen Brauen zusammengezogen, schien der alte Mann ernsthaft zu missbilligen, was er beobachtete. “Verdammt, Greythorpe! Wollen Sie diesen Unsinn nicht unterbinden?”, fragte er mit einer Stimme, die er für gedämpft hielt. Aber alle Anwesenden hörten die Worte. Und alle wandten sich gespannt zu Seiner Lordschaft. “Um Himmels willen, sie setzt die Perlen ihrer Mutter aufs Spiel!”
“Wenn Annis das wünscht, ist es ihr gutes Recht, Colonel”, betonte Deverel. “Ich kann ihr keine Vorschriften machen. Selbst wenn ich die nötige Vollmacht besäße, würde ich es nicht tun.
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