Hochzeit in St. George (German Edition)
nächste in der Erbfolge war Richards jüngerer Bruder George.
Sie hatte noch nicht viel über diesen Mann gehört, außer, daß er als Erbe des Vermögens seiner Großmutter vor gut einem Jahr zu plötzlichem, unermeßlichem Reichtum gekommen war. Es hatte den Anschein, daß sich die beiden Brüder nicht sehr gut verstanden. Ja, sie hatten sich in den letzten Jahren nicht einmal gesehen. Obwohl dieser George vor seiner Hochzeit, und bevor er seine Großmutter beerbte, eine Zeitlang in London gelebt hatte. Warum allerdings sollte dieser reiche Mann Interesse am Tod sowohl seines Vaters als auch seines Bruders haben? Wild Rose Manor war ganz hübsch, die Erträge der Pächter würden jedoch erst wieder der Rede wert sein, wenn eine ordendiche Summe investiert worden war. Finanzielle Gründe konnten kein Anreiz für George Willowby gewesen sein, seinen Vater zu töten und Richard bei den Behörden anzuschwärzen. George schied daher aus dem Kreis der Verdächtigen aus, es sei denn… Catharine blieb ruckartig stehen. Natürlich! George Willowby war zwar immens reich, doch er hatte keinen Titel.
Da er das Erbe seiner Großmutter mütterlicherseits angetreten hatte, war damit kein Titel verbunden gewesen. George Willowby war der Mörder seines Vaters! Vielleicht hatte er auch die Tat nicht selbst begangen, sondern jemanden dafür gedungen. Und anschließend hat er dem Inspektor jenes Schreiben zukommen lassen, das Richard die Verantwortung in die Schuhe schob. Catharine atmete tief durch. Sie hatte die Lösung gefunden!
Das Rattern von Kutschenrädern drang durch das geschlossene Fenster. Sie schob eilig die Vorhänge beiseite. Kermin saß auf dem Kutschbock und grinste von einem Ohr zum anderen. Als habe er ihren Blick gespürt, blickte er nach oben. Seine kleinen Knopfaugen strahlten. Triumphierend zog er seine Kappe vom Kopf und wirbelte sie durch die Luft. Das konnte nur eines bedeuten: Er war mit Richard zurückgekehrt! Mit klopfendem Herzen wartete sie, bis die Kutsche endlich zum Stillstand kam. Kermin sprang vom Kutschbock und riß den Schlag auf. Zwei lange Beine in dunkelgrünen Kniehosen wurden sichtbar, ein blonder Lockenkopf: es war Richard!
»Ich habe ihn heil zurückgebracht!« brüllte Kermin durch die geschfossenenFensterscheiben. Richard folgte seinem Blick. Als er seine Frau entdeckte, wurde sein erschöpfter Gesichtsausdruck weich. Ein liebevolles Lächeln glitt über seine Lippen, als er die Hand hob, um ihr zuzuwinken. Catharine sah diesen Blick, das Lächeln, und hielt es nicht mehr länger in der Bibliothek aus. Mit flinken Fingern schürzte sie die Röcke und eilte die Treppe hinab, um ihrem Gatten entgegenzulaufen. Er trat eben durch die breite Haustür, als Catharine an der untersten Stufe angelangt war. Sie verharrte im Schritt. Durch die offene Tür schien die Sonne in die düstere Halle und zauberte ein helles Dreieck auf den dunklen Holzboden. Viele winzige Staubflocken tanzten im Licht.
Richard war ebenfalls stehengeblieben.
Das Herz klopfte Catharine bis zum Hals, doch sie blieb auf der untersten Stufe stehen, als sei sie dort angewachsen. Eine nie gekannte Scheu überfiel sie. Unsicherheit, wie sie sich verhalten sollte.
Da öffnete Richard die Arme, und all die Unsicherheit war wie weggeblasen. Sie lief auf ihn zu, um sich in die geöffneten Arme zu Werfen, die sich fest um sie schlossen. So stand sie da, die Wange an seine breite Brust gedrückt, um ihn lachend und weinend in seinem Haus willkommen zu heißen. Richard hob ihr Gesicht zu seinem empor und warf einen prüfenden Blick in ihre Augen. Als er darin nicht mehr die geringste Spur eines Widerstands entdeckte, als er die freudige Erregung darin las, mit der sie voller Erwartung zu ihm aufsah, da senkte er seine Lippen auf die ihren. Und sie küßten sich mit Hingabe und Leidenschaft, wie zwei Verirrte, die nach einem langen Weg der Trennung endlich wieder zusammengefunden hatten.
Ein vernehmliches Räuspern brach den Zauber. Richard unterbrach seinen Kuß und blickte sich, ohne Catharine loszulassen, unwillig um. Es war Alfred Willowby, der da stand, mit Lederhandschuhen und einer umgebundenen Gärtnerschürze, die Rechte ihm zum Gruße entgegenstreckend: »Da bist du also wieder. Willkommen zu Hause, Vetter«, sagte er. »Ich habe mich etwas um die Rosen gekümmert. Ich hoffe, das ist dir nicht unrecht.«
»Du kannst mit den Rosen machen, was du willst, Alfred. Hauptsache, du störst mich nicht länger. Wie kommt es
Weitere Kostenlose Bücher