Höchstgebot
jetzt die wahre Geschichte. Fang einfach da an, wo du eben aufgehört hast. Was hast du verkauft?«
Anstatt nun alles offen zuzugeben, brach Sascha in Tränen aus. Er sank an Mickys Schulter, die in einem mütterlichen Reflex den Arm um ihn legte.
»Ach, meine Schwester ist tot, meine Eltern sind tot, ich habe niemanden mehr, mein Leben ist zerstört!«
Micky widerstand der Versuchung, ihm zu widersprechen. Der Junge hatte recht, obwohl der Text vermutlich aus irgendeinem Schmachtfetzen stammte. »Es besteht Hoffnung, wenn du uns hilfst«, sagte sie und klopfte ihm beruhigend auf den Rücken. Sie bedeutete Katja, ihm ein Glas Saft aus der Karaffe auf dem Nachtschränkchen einzuschenken, was Katja nur widerwillig erledigte.
»Ich bin ganz allein!«, jammerte Sascha.
»Aber wir sind doch für dich da«, entgegnete Micky, während Katja ihr den Becher reichte.
Ihre Schlagertexte zeigten Wirkung. Sascha trank den Becher leer, seufzte noch einmal tief und begann zu erzählen. Micky hielt ihn die ganze Zeit im Arm.
»Sie war schon sehr lange mit Carsten zusammen«, begann er. »Aber niemand durfte es wissen, weil Ingrid sie sonst entlassen hätte. Die Roeders können sich nämlich nicht …«
»Wissen wir«, unterbrach ihn Katja. »Und auch, dass Ihre Schwester Carsten über die Vorgänge bei Roeder West informiert hat.«
»Na schön, aber wissen Sie auch, dass Frau Roeder Apparate entwickelt hat, von denen ihr Bruder nichts erfahren durfte?«
»Wir haben es vermutet, können es aber nicht beweisen«, sagte Katja. »Und Sie können das?«
Sascha schien ihr nicht zu vertrauen und schmiegte sich enger an Micky. »Carsten hat verlangt, das Kind abtreiben zu lassen, aber Sybille wollte es behalten«, fuhr er fort.
»Er wollte nichts mehr von Sybille wissen. Deswegen drohte sie, öffentlich zu machen, dass Roeder Kriegsmaterial entwickelte.«
»Nur deswegen?«
»Nein, auch weil sie Angst hatte, entlassen zu werden.«
»Was hat sie für ihr Schweigen verlangt?«
Sascha sah Micky an, als sei das eine besonders dumme Frage gewesen.
»Einen Haufen Geld natürlich. Um das Kind großziehen zu können.«
»Und vielleicht noch etwas mehr?«, unterbrach ihn Katja.
Micky nickte ihm aufmunternd zu.
»Ja …«, antwortete er zögernd. »Aber wie auch immer, Carsten hat sie im Stich gelassen.«
»Deswegen habt ihr das Gemälde geklaut«, sagte Micky. »Und als die Sache schiefging, seid ihr erneut an Carsten herangetreten. Diesmal war er bereit zu zahlen, wenn auch sicher nicht so viel, wie Sybille verlangt hat. Aber leider platzte der Deal wegen der beiden Herren, die deinen Freund Heino beinahe ins Jenseits befördert hätten. Freddy, hör zu …«
Micky benutzte absichtlich seinen Spitznamen. »Was hatte Sybille als Gegenleistung zu bieten?«
»Geheime Daten.«
»Wo sind die jetzt?«
»In einem Schließfach am Aachener Hauptbahnhof.«
»Und der Schlüssel?«
»Versteckt in unserer Hütte in De Gulper .«
»Wo genau?«
»Kommst du mich danach besuchen?«
Micky erkannte, dass er kurz davor stand, seine einzige Sicherheit preiszugeben.
»In jedem Fall«, versprach sie. Als sie noch bei der Polizei gearbeitet hatte, galten Versprechungen während eines Verhörs als Todsünde, doch jetzt hatte sie freie Hand. Außerdem war es ihr ernst.
»In der Frittierpfanne, unter dem kalten Fett.«
Da Sascha den Kopf gesenkt hatte, konnte Micky mit den Lippen den Namen »Molendorp« formen und mit der Hand ein imaginäres Telefon ans Ohr halten. Katja stand auf und verließ das Zimmer.
»So ein Schlamassel«, seufzte Sascha.
Diesmal hatte Micky keinen aufmunternden Schlagertext für ihn in petto. Sie beschloss, das Verhör fortzusetzen.
»Warum wollte Carsten, dass du bei Roeder West arbeitest? Sei ehrlich.«
»Um Sybille zu helfen«, antwortete Sascha fügsam. »Sie durfte keinerlei Risiko eingehen. Die Kontrollen waren sehr streng. Alle Mitarbeiter mussten beim Verlassen der Firma die Taschen ausleeren. Sybille hat Material für mich bereitgelegt. Wenn es Papiere waren, musste ich sie nach Dienstschluss mitnehmen. Manchmal war es auch eine DVD oder ein USB-Stick. Sybille durfte mit diesen Daten nicht erwischt werden, deswegen war ich ihr Kurier.«
»Du hast die Informationen also bei Carsten abgeliefert?«
»Mich hat keiner verdächtigt, niemand wusste, dass Sybille meine Pflegeschwester war. Ich war nur der dumme Wachmann, der von Wissenschaft keine Ahnung hatte. Aber ich habe alle Daten aus dem Laden
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