Höchstgebot
Wachmann hinter ihnen erhob sich.
»Freddy …«, sagte Micky, »um Heino steht es schlecht. Es geht um Leben und Tod.«
»Hat Carsten das getan?«, rief Sascha und saß sofort aufrecht im Bett.
»Nein, Carsten ist auch tot«, antwortete Katja nachdrücklich.
Wieder brach Sascha in Schluchzen aus. Der Blick der Krankenschwester prophezeite böse Konsequenzen.
»Dieser Patient wird heute Nacht sehr schlecht schlafen«, prophezeite Katja, als sie das Krankenhaus verließen.
»Vielleicht wollte er doch auspacken und wir hatten nur zu wenig Zeit, um ihn in die richtige Richtung zu schieben«, erwiderte Micky.
»Nein, er ist ein Schauspieler«, sagte Katja. »Er hat sowohl uns als auch der Krankenschwester etwas vorgemacht. Auf alle wichtigen Fragen ist er uns die Antwort schuldig geblieben. Was hatte seine Pflegeschwester entdeckt und womit konnte er Carsten zwingen, ihm zu helfen?«
Katja startete den Motor und ließ ihn eine Weile laufen. »Er hat uns schon in die Irre geführt, als er so bereitwillig angekündigt hat, dass er uns einen Gefallen schulde«, fuhr sie fort. »Er hat noch irgendein Ass im Ärmel.«
»Wie kommst du darauf?«, fragte Micky.
»Sagt mir mein Gefühl«, antwortete Katja. »Oder nenn es meinetwegen Psychologie.«
»Und was wäre sein Motiv?«
»Er ist und bleibt ein Straßenjunge, auch wenn er inzwischen Uniform trägt. Er hat gelernt, wie man durchkommt.«
22
Robert erwachte in einem fremden Bett in einem fremden Appartement, weil die Strahlen einer brutalstmöglichen Morgensonne Löcher in seinen Kopf bohrten. Eine Art altägyptischer Operationsmethode, die jedoch leider nicht zur Druckentlastung in seinem Schädel führte.
Er bemühte sich aufzustehen, aber sein Kreislauf hatte noch keinen Sinn für derartig revolutionäre Umwälzungen. Also blieb er liegen und versuchte zusammenzukratzen, was vom vorigen Tag in seiner Erinnerung haften geblieben war. Am entscheidenden Punkt sollte er auf ein erschreckend großes Loch stoßen.
Licht und klar stand ihm noch vor Augen, wie Anouk auf die Nachricht von Carstens Tod hin vorgeschlagen hatte, dem Atelier den Rücken zu kehren und den Rest des Samstags in Freiheit zu verbringen. Robert hatte gezögert, weil es ihm in schlechten Zeiten eher half, einem Gemälde kleine Störleim-Injektionen zu verpassen, als das Getriebe der Welt live krachen zu hören. Aber Anouk hatte ihn mit ihren großen braunen Augen so lange fixiert, bis er ihr zu folgen bereit war wie ein naiver Dschungelbewohner einer berühmten Schlange.
Nur wenig später hatte er hinter ihr auf einer Vespa gehockt, die sie wild und geschickt und zwischendurch aufjauchzend zu Goldfrapps Ooh La La auf den Helmkopfhörern durch die Maastrichter Altstadt steuerte.
In kürzester Zeit hatten sie die Stadtgrenze erreicht, die Straße verwandelte sich in einen Feldweg und bald darauf bremste Anouk auf dem Hof jenes Weinguts ab, dessen Grauburgunder Robert beim Abendessen mit Micky genossen hatte.
Weiter erinnerte Robert sich auch noch recht gut an einen ausgedehnten Spaziergang, eine Brotzeit mit Weinprobe, bei der sich Anouk mit Hinweis auf Robert als kostbare Fracht zurückgehalten hatte, und an die wundervolle Rückfahrt. Dann hatte sie ihn in ein Restaurant eingeladen und er hatte dort die vespabasierte Eruption seiner Nackenschmerzen mit einem beherzten Schluck Tramadol eindämmen müssen. Das Essen war gut gewesen, der Rotwein auch, aber diese Urteile waren nur noch Inseln der Erinnerung in einem großen, stillen Ozean des Vergessens. Der Weg hierher, wo immer ›hierher‹ nun sein mochte, war bereits versunken wie alles Weitere danach.
»Du bist wach. Deine Lider zittern.«
»Da weißt du mehr als ich.« Er öffnete mühsam die Augen und sah Anouk in einem grauen, halbtransparenten Babydoll vor sich stehen. Er schloss die Augen schnell wieder und öffnete sie noch einmal, aber sie stand immer noch genauso vor ihm.
»Das vermute ich auch, wenn ich dich so sehe.« Sie grinste gemein. »Kaffee?«
Er nickte. Während sie verschwand, scannte er hastig das Bett. Beide Seiten waren benutzt, das Bettzeug lag in wildem Wirbel da. Hatten sie etwa …? Verdammt, er wusste es nicht mehr. Das war ihm noch nie passiert!
Sein Schädel brummte so böse, dass er es hörte. Vielleicht war es aber auch nur eine Pad-Maschine, denn kurz darauf kehrte Anouk mit einem dampfenden Becher Kaffee zurück und hockte sich auf das Bett. Ihr Babydoll öffnete sich ein wenig und gab den Blick auf ein
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