Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Höhenangst

Titel: Höhenangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
Vom Netzwerk:
geistreiche Frau Alice Loudon, Deborah war ins Zimmer zurückgekehrt.
    Sie nahm neben mir Platz und nippte an ihrem Whisky.
    Während ich weiterlas, betrachtete sie mein Gesicht.
    eine Wissenschaftlerin, in deren Leben die Bergsteigerei bis zu diesem Zeitpunkt keine Rolle gespielt hatte. Das Paar liebte sich leidenschaftlich, und Adams Freunde waren der Meinung, daß er endlich den stabilen Mittelpunkt seines Lebens gefunden hatte, nach dem dieser ruhelose Vagabund immer auf der Suche war. In diesem Zusammenhang war es vielleicht bezeichnend, daß seine für nächstes Jahr geplante Everestexpedition nicht die Besteigung des Gipfels, sondern die Säuberung des Berges zum Ziel hatte. Vielleicht war das Adams eigene Art, gegenüber den Göttern, die zu lange Zeit ignoriert und beleidigt worden waren, Wiedergutmachung zu leisten. Aber diese Expedition sollte nicht mehr stattfinden. Wer kann sagen, welche inneren Qualen ein anderer Mensch durchleidet? Wer weiß, was die Männer und Frauen vorantreibt, die ihre Erfüllung auf den höchsten Punkten der Welt suchen? Vielleicht hatten ihn die Ereignisse auf dem Chungawat stärker mitgenommen, als selbst seinen Freunden klargewesen war. Auf uns hatte er eine Zeitlang glücklicher und ruhiger gewirkt als je zuvor, aber in den letzten Wochen seines Lebens wurde er nervös, reizbar und schweigsam. Ich werde das Gefühl nicht los, daß wir nicht auf die gleiche Weise für ihn da waren, wie er für uns dagewesen war. Wenn die stärksten Männer zerbrechen, geschieht das vielleicht auf eine besonders schreckliche und endgültige Art. Ich habe einen Freund verloren. Alice hat ihren Ehemann verloren. Die Welt hat eine seltene Art von Heldentum verloren.

    Ich legte das Blatt so neben mich, daß ich Adams Gesicht nicht sehen mußte, und putzte mir die Nase. Dann kippte ich fast den ganzen Drink hinunter. Der Scotch brannte in meiner ohnehin schon schmerzenden Kehle. Ich fragte mich, ob ich mich jemals wieder normal würde fühlen können. Deborah legte zögernd die Hand auf meine Schulter, und ich lächelte sie traurig an.
    »Ist schon gut«, sagte ich.
    »Macht es dir etwas aus?« fragte sie. »Wär es dir nicht lieber, alle würden Bescheid wissen?« Ihre Frage schien aus weiter Ferne zu kommen.
    »Nicht alle«, antwortete ich schließlich. »Es gibt ein paar Menschen, die ich aufsuchen muß. Menschen, die ich belogen und hinters Licht geführt habe. Sie müssen die Wahrheit erfahren. Das bin ich ihnen ebenso schuldig wie mir selbst. Was den Rest betrifft, spielt es keine Rolle. Es spielt wirklich keine Rolle.«
    Deborah lehnte sich vor und stieß ihr Glas gegen meines.
    »Liebe Alice«, sagte sie mit gepreßter und förmlich klingender Stimme. »Ich sage das in dieser Form, weil ich gerade aus dem Brief zitiere, den ich so oft an dich zu schreiben versucht und dann immer wieder zerrissen habe.
    Liebe Alice, wenn ich nicht vor mir selbst bewahrt worden wäre, dann wäre ich für dein Kidnapping und weiß Gott was sonst noch alles verantwortlich gewesen. Es tut mir so leid. Darf ich dich zum Abendessen einladen?«
    Ich nickte und beantwortete damit ihre unausgesprochene Frage ebenso wie die ausgesprochene.
    »Aber vorher muß ich mich noch umziehen«, sagte ich.
    »Sonst kann ich nicht mit dir konkurrieren. Ich hatte im Büro einen ziemlich harten Tag.«
    »Oh, ich habe davon gehört. Herzlichen Glückwunsch.«
    Eine Viertelstunde später gingen wir Arm in Arm die High Road entlang. Es war ein warmer Abend, und zum erstenmal in diesem Jahr konnte man wirklich spüren, daß bald Sommer sein würde, ein richtiger Sommer mit heißen Tagen, langen Abenden und kühlen Morgenstunden. Wir schwiegen beide. Ich hatte das Gefühl, daß mir weder Worte noch Gedanken geblieben waren. Deborah führte mich in ein neues italienisches Restaurant, von dem sie gelesen hatte, und bestellte Pasta, Salat und eine Flasche teuren Rotwein. Um ihr schlechtes Gewissen zu beruhigen, sagte sie. Die Kellner waren dunkelhaarig, gutaussehend und sehr aufmerksam zu uns. Als Deborah eine Zigarette aus der Schachtel zog, waren gleich zwei von ihnen mit einem Feuerzeug zur Stelle. Dann sah mir Deborah in die Augen.
    »Was machen die von der Polizei?« fragte sie.
    »Ich habe letzte Woche einen ganzen Tag mit Beamten verschiedener Abteilungen verbracht und ihnen so ziemlich die gleiche Geschichte erzählt wie damals, bevor du mit Adam aufgetaucht bist.« Deborah zuckte zusammen. »Aber diesmal haben sie mir aufmerksam

Weitere Kostenlose Bücher