Höhenangst
versuchen würde, mich in deine Situation hineinzuversetzen.«
Sie stand auf. »Ich will einfach nicht fair zu dir sein.
Ganz im Gegenteil, ich will dich hassen.«
Ich nickte und stand ebenfalls auf. Ich konnte sie verstehen. Natürlich konnte ich sie verstehen.
»Dann packe ich mal ein paar Sachen zusammen.«
Sie nickte und ging in die Küche. Ich hörte, wie sie den Wasserkessel vollaufen ließ.
Im Schlafzimmer war alles noch so wie zuvor. Ich nahm meinen Koffer vom Schrank und legte ihn geöffnet auf den Boden. Auf meiner Seite des ordentlich gemachten Doppelbetts lag das Buch über die Geschichte der Uhr, das ich zu lesen begonnen hatte. Auf Jakes Seite lag das Bergsteigerbuch. Ich nahm beide Bücher und packte sie in den Koffer. Dann öffnete ich die Schranktüren und fing an, meine Kleider von den Bügeln zu nehmen. Dabei zitterten meine Hände so stark, daß ich nicht in der Lage war, die Dinge ordentlich zusammenzulegen. Viel nahm ich sowieso nicht mit, denn ich konnte mir nicht vorstellen, weiterhin die alten Sachen zu tragen. Ich glaubte einfach nicht, daß sie noch zu mir paßten.
Ich starrte in den Schrank, in dem meine Kleidung zwischen der von Jake hing: meine Kleider neben seinem einzigen guten Anzug, meine Röcke und Tops zwischen seinen Bürohemden, die sauber gebügelt und ordentlich zugeknöpft auf ihren Bügeln hingen. Bei einigen seiner Hemden waren die Manschetten ausgefranst. In meinen Augen brannten Tränen, die ich wütend wegblinzelte. Was würde ich brauchen? Ich versuchte, mir mein neues Leben mit Adam vorzustellen, und merkte, daß ich es nicht konnte. Ich sah mich immer nur mit ihm im Bett.
Schließlich packte ich einige Pullover ein, ein paar Jeans und T-Shirts, zwei Kostüme für die Arbeit und meine gesamte Unterwäsche. Mein liebstes, ärmelloses Kleid nahm ich ebenfalls mit, außerdem zwei Paar Schuhe. Den Rest ließ ich zurück – es war ziemlich viel. Ich mußte an all die Shoppingtouren mit Pauline denken, all die begeisterten Einkäufe.
Als nächstes warf ich meine sämtlichen Cremes, Lotionen und Schminkutensilien in den Koffer, zögerte aber, was meinen Schmuck betraf. Das meiste davon waren Geschenke Jakes: mehrere Paar Ohrringe, ein hübscher Anhänger, ein breiter Kupferarmreif. Ich wußte nicht, ob es ihn mehr verletzen würde, wenn ich die Dinge mitnahm oder wenn ich sie zurückließ. Ich stellte mir vor, wie er an diesem Abend ins Zimmer treten und nachsehen würde, was ich mitgenommen hatte und was noch da war, und wie er versuchen würde, daraus Rückschlüsse auf meine Gefühle zu ziehen. Ich nahm nur die Ohrringe von meiner verstorbenen Großmutter und die Sachen, die ich schon vor Jake besessen hatte. Dann überlegte ich es mir anders und leerte den ganzen Inhalt der kleinen Schublade in den Koffer.
In der Ecke lag ein Häufchen schmutziger Wäsche, aus dem ich ein paar Sachen herausfischte. Ich konnte schließlich nicht meine getragene Unterwäsche bei Jake herumliegen lassen. Anschließend holte ich meine Aktentasche unter dem Stuhl neben dem Fenster hervor und packte mein Adreßbuch und mein Tagebuch ein.
Meine Papiere – Paß, Geburtsurkunde, Führerschein, Versicherungspolicen und Sparbuch – waren mit Jakes persönlichen Dokumenten in einem Ordner abgeheftet.
Rasch suchte ich die Unterlagen zusammen. Das Bild über dem Bett nahm ich nicht mit, obwohl mein Vater es mir Jahre vor meiner Zeit mit Jake geschenkt hatte. Außerdem beschloß ich, keine unserer gemeinsamen Bücher und CDs mitzunehmen und mit Jake auch nicht wegen des Wagens zu streiten, für den ich vor sechs Monaten die Anzahlung geleistet hatte, während Jake noch immer die monatlichen Raten bezahlte.
Als ich ins Wohnzimmer zurückkam, saß Pauline mit einer Tasse Tee auf dem Sofa. Sie sah zu, wie ich drei an mich adressierte Briefe vom Tisch nahm und in meine Aktentasche legte. Ich war fertig. Das Ergebnis meiner Packaktion waren ein Koffer voller Kleidung und eine Plastiktüte mit Krimskrams.
»Ist das alles? Du reist aber mit leichtem Gepäck.«
Ich zuckte verzweifelt mit den Schultern.
»Ich weiß, daß ich bald wiederkommen und alles noch einmal genau durchsortieren muß. Aber nicht heute.«
»Dann ist es also nicht nur ein Strohfeuer?«
Ich sah sie an. Ihre Augen waren genauso braun wie die von Jake.
»Nein.«
»Und Jake kann nicht hoffen, daß du zu ihm zurückkommst? Er sollte nicht jeden Tag darauf warten, daß du auftauchst?«
»Nein.«
Ich mußte so schnell wie
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