Höhenangst
möglich hier raus, damit ich endlich losheulen konnte. Ich ging zur Tür. Im Vorbeigehen zog ich einen Schal vom Haken. Draußen war es kalt und dunkel.
»Pauline, sag Jake bitte, daß ich das alles …« Ich machte eine vage Handbewegung, die all unsere gemeinsamen Habseligkeiten einschloß. »Daß wir das alles so regeln werden, wie er es möchte.«
Sie sah mich an, gab mir aber keine Antwort.
»Dann mach’s mal gut«, sagte ich.
Wir starrten uns an. Ich sah, daß sie ebenfalls allein sein wollte, um endlich weinen zu können.
»Ja«, sagte sie.
»Ich sehe bestimmt schrecklich aus.«
»Nein.« Mit einem Zipfel seines Hemds trocknete er meine Tränen und wischte meine Nase sauber.
»Es tut mir leid. Aber es ist so schmerzhaft.«
»Die besten Dinge werden aus dem Schmerz geboren.
Natürlich ist es schmerzhaft.«
Normalerweise hätte ich über ein solches Klischee schallend gelacht. Ich glaube nicht daran, daß Schmerz nötig ist, um den Menschen zu adeln. Aber ich steckte schon viel zu tief in der Sache drin. Ich spüre, wie mir erneut die Tränen kamen.
»Ich habe solche Angst, Adam.« Er gab mir keine Antwort.
»Ich habe alles für dich aufgegeben. O Gott!«
»Ich weiß«, sagte er. »Ich weiß, daß du das getan hast.«
Wir gingen in ein einfaches Restaurant gleich um die Ecke. Ich mußte mich an ihn lehnen, weil ich das Gefühl hatte, sonst umzukippen. Wir setzten uns in eine dunkle Ecke und tranken jeder ein Glas Champagner. Mir stieg der Alkohol sofort in den Kopf. Adam legte unter dem Tisch seine Hand auf meinen Oberschenkel, so daß es mich einige Mühe kostete, mich zu konzentrieren, während ich auf die Speisekarte starrte. Wir aßen Lachsfilets mit wilden Pilzen und grünem Salat. Dazu tranken wir eine Flasche kalten, grünlich schimmernden Weißwein. Ich wußte selbst nicht genau, ob ich mich in einem Zustand der Euphorie oder der Verzweiflung befand. Irgendwie war das alles zuviel für mich. Jeder seiner Blicke war wie eine Berührung, jeder Schluck Wein berauschte mich mehr. Mit zitternden Händen versuchte ich, das Essen kleinzuschneiden. Jedesmal wenn Adam mich unter dem Tisch berührte, kam es mir so vor, als würde sich mein Körper auflösen.
»Ist es für dich schon einmal so gewesen?« fragte ich. Er schüttelte den Kopf.
Ich stellte Fragen nach meiner Vorgängerin, und er starrte mich eine Weile an.
»Es fällt mir schwer, darüber zu sprechen.« Ich wartete.
Nachdem ich für ihn meine gewohnte Welt aufgegeben hatte, würde er mir zumindest von seiner letzten Freundin erzählen müssen. »Sie ist gestorben«, sagte er schließlich.
»Oh.« Ich war geschockt, aber auch traurig. Welche Chance hatte ich gegen eine Tote?
»Oben auf dem Berg«, fügte er hinzu und starrte in sein Glas.
»Du meinst, auf dem Berg, von dem du mir erzählt hast?«
»Dem Chungawat. Ja.«
Er trank noch einen Schluck Wein und gab dann dem Kellner ein Zeichen. »Können wir bitte zwei Whiskys haben?«
Die Drinks kamen, und wir schütteten sie hinunter. Ich griff nach seiner Hand.
»Hast du sie geliebt?«
»Nicht so wie dich«, antwortete er. Ich legte seine Hand an mein Gesicht. Wie war es möglich, so eifersüchtig auf eine Frau zu sein, die gestorben war, bevor er mich zum erstenmal gesehen hatte?
»Hat es vor mir viele andere Frauen gegeben?«
»Wenn ich mit dir zusammen bin, weiß ich, daß es keine andere gibt«, antwortete er, was natürlich hieß, daß es tatsächlich viele gegeben hatte.
»Warum gerade ich?«
Adam wirkte gedankenverloren.
»Wie könnte es eine andere sein als du?« fragte er schließlich.
10. KAPITEL
Wider Erwarten blieben mir vor einer Besprechung ein paar Minuten Zeit, so daß ich meinen ganzen Mut zusammennahm und Sylvie anrief. Sie ist Anwältin, und in der Vergangenheit war es mir nicht immer gelungen, telefonisch zu ihr durchzudringen. In der Regel rief sie Stunden später zurück oder erst am nächsten Morgen.
Diesmal ließ sie schon nach ein paar Minuten von sich hören.
»Alice?«
»Ja«, antwortete ich matt.
»Wir müssen uns sehen.«
»Sehr gern. Aber willst du das wirklich?«
»Hast du heute schon was vor? Nach der Arbeit?«
Ich überlegte. Plötzlich erschien mir das Ganze kompliziert.
»Ich … ähm, ich bin in der Stadt mit jemandem verabredet.«
»Wo? Wann?«
»In einer Buchhandlung in Covent Garden. Ich weiß, das klingt blöd. Um halb sieben.«
»Wir könnten uns vorher irgendwo verabreden.«
Sylvie ließ nicht locker. Wir sollten
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