Höhenangst
auf diese Frage keine Antwort zu geben. Ich habe bloß laut gedacht.«
Wir nippten an unserem Kaffee, der mittlerweile ein wenig abgekühlt war.
»Was macht er?« fragte Sylvie.
»Er hat im Grunde keinen richtigen Beruf. Zumindest nicht in dem Sinn, wie wir einen haben. Er macht alles mögliche, um Geld zu verdienen. Aber eigentlich ist er Bergsteiger.«
Sylvie wirkte ehrlich überrascht, was mich mit einer gewissen Befriedigung erfüllte.
»Tatsächlich? Du meinst, er klettert auf Berge?«
»Ja.«
»Ich bin sprachlos. Wo habt ihr euch kennengelernt?
Doch wohl nicht auf einem Berg?«
»Rein zufällig«, antwortete ich vage. »Wir sind uns einfach in die Arme gelaufen.«
»Wann?«
»Vor ein paar Wochen.«
»Und seitdem seid ihr nur noch im Bett.« Ich gab ihr keine Antwort. »Du ziehst schon bei ihm ein?«
»Es sieht so aus.«
Sylvie zog an ihrer Zigarette.
»Dann ist es also die große Liebe.«
»Zumindest hat es mich ziemlich erwischt.«
Sylvie lehnte sich mit spitzbübischer Miene nach vorn.
»Sei bloß vorsichtig! Am Anfang ist es immer so. Er kann gar nicht genug von dir bekommen, ist wie besessen von dir. In dem Zustand wollen sie dich ständig vögeln, auf deinem Gesicht kommen …«
»Sylvie!« unterbrach ich sie entsetzt. »Um Gottes willen!«
»Na, es ist doch so!« meinte sie keck. Sie war sichtlich erleichtert, sich wieder auf vertrautem Terrain zu bewegen. Die wilde Sylvie, die so gern unanständige Sachen sagte – das war ihre Lieblingsrolle. »Zumindest metaphorisch gesprochen. Ich will damit doch nur ausdrücken, daß du vorsichtig sein sollst. Ich sage nicht, daß du es nicht tun sollst. Genieße es. Mach, wonach dir zumute ist, sei völlig hemmungslos, aber geh kein wirkliches körperliches Risiko ein.«
»Wovon redest du eigentlich?«
Sie wirkte plötzlich fast ein bißchen prüde.
»Das weißt du ganz genau.«
Wir bestellten uns noch einen Kaffee, und Sylvie fuhr fort, mich auszufragen, bis ich einen Blick auf die Uhr warf und feststellte, daß es schon kurz vor halb sieben war. Ich griff nach meiner Tasche.
»Ich muß gehen«, sagte ich schnell. Nachdem ich gezahlt hatte, folgte mir Sylvie auf die Straße hinaus. »In welche Richtung mußt du?« fragte ich sie.
»Wenn du nichts dagegen hast, werde ich dich begleiten, Alice.«
»Warum?«
»Ich möchte mir ein Buch kaufen«, erklärte sie dreist.
»Du gehst doch in eine Buchhandlung, oder?«
»Ist schon gut«, sagte ich. »Du kannst ihn gern kennenlernen. Ich habe nichts dagegen.«
»Ich will mir bloß ein Buch kaufen«, antwortete sie.
Es waren nur ein paar Minuten zu laufen. Die Buchhandlung hatte sich auf Reisebücher und Landkarten spezialisiert.
»Ist er da?« fragte Sylvie, als wir den Laden betraten.
»Ich kann ihn nirgendwo entdecken«, antwortete ich.
»Geh ruhig schon mal voraus und frag nach deinem Buch.«
Sylvie murmelte irgend etwas Unverständliches, und wir begannen beide, uns im Laden umzusehen. Ich blieb vor ein paar ausgestellten Globen stehen. Wenn er nicht auftauchte, konnte ich immer noch in die Wohnung zurückkehren. Ich spürte, wie mich jemand von hinten anstupste. Dann schlangen sich zwei Arme um mich, und jemand schmiegte sich an meinen Nacken. Ich drehte mich um. Adam.
»Alice«, sagte er.
Als er mich losließ, bemerkte ich, daß er zwei amüsiert dreinblickende Männer bei sich hatte. Sie waren beide sehr groß, genau wie Adam. Der eine besaß hellbraunes, fast blondes Haar, eine auffallend glatte Haut und markante hervortretende Wangenknochen. Er trug eine schwere Segeltuchjacke, die aussah, als wäre sie für einen Tiefseefischer angefertigt. Der andere war ein dunklerer Typ mit sehr langem, welligem braunen Haar. Er trug einen langen grauen Mantel, der ihm fast bis zu den Knöcheln reichte. Adam deutete auf den blonden Mann.
»Das ist Daniel«, sagte er, »und das Klaus.«
Ich schüttelte nacheinander ihre riesigen Hände.
»Schön, Sie kennenzulernen, Alice«, erklärte Daniel mit einer kleinen Verbeugung. Er sprach mit einem Akzent, der sich irgendwie skandinavisch anhörte. Adam hatte mich den beiden nicht vorgestellt, aber sie kannten meinen Namen. Er mußte ihnen von mir erzählt haben. Sie taxierten mich abschätzend, Adams neueste Freundin, und ich erwiderte ihren Blick, während ich im Geist bereits meinen nächsten Großeinkauf plante. Neben mir stand plötzlich Sylvie.
»Adam, das ist eine Freundin von mir, Sylvie.«
Adam wandte sich langsam zu ihr um und gab ihr
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