Höhlenwelt-Saga 03 - Der dunkle Pakt
plötzlich wurde Roya unsicher. Der Gedanke, dass ihr oder Quendras' Schicksal von der Launenhaftigkeit dieses Gottes abhängen sollte, versetzte sie in eine Stimmung, in der Victor sie überhaupt nicht wieder erkannte. Aus der sanften, zierlichen und stets zu kleinen Scherzen aufgelegten Roya wurde eine zornige Rächerin, der Victor durchaus zutraute, dass sie sich mit dem ganzen Feuer ihrer leidenschaftlichen Verachtung in einen Kampf gegen Sardin werfen würde.
Abermals verschlechterte sich Quendras' Zustand und Roya wurde so elend zumute, dass sie Victor schließlich bat zu gehen. Es hatte schon viel zu lange gedauert, dass sie sich zu diesem Entschluss durchgerungen hatte.
Victor flog mit Faiona zum Turm, aber dort erlebten sie eine Enttäuschung. Der Sims war nirgends breit genug, als dass Faiona dort hätte landen und Victor absetzen können. Er hätte es nur mit einem riskanten Sprung von ihrem Rücken versuchen können - aber wäre der daneben gegangen, hätte er anderthalb Meilen freien Fall vor sich gehabt - mit tödlichem Ausgang. So blieb ihnen nichts anderes übrig, als wieder zurückzufliegen.
Victor machte sich bereit, abermals den langen Marsch durch den Tunnel anzutreten, und wenigstens reichte ihm nun das Glück ein wenig die Hand: Im Gepäck von Rasnors Leuten fanden sich mehrere Kerzen.
Die nächste große Enttäuschung kam, als Victor den Turm erreichte. Das steinerne Portal, das Roya geöffnet hatte, war noch immer offen, und so betrat er hoffnungsvoll, wenn auch von Furcht erfüllt, den steinernen Turm. Er hatte sich unterwegs eine Menge Worte für Sardin zurechtgelegt und war trotz allem Unmut zu dem Schluss gekommen, dass er wohl am besten daran tat, ihn um Hilfe zu bitten. Vielleicht sogar mit einer gewissen Unterwürfigkeit. Wenn er Sardins Wut heraufbeschwor und dieser Gott seine Hilfe verweigerte, konnte Victor nichts dagegen tun. Diese Sache stand jenseits dessen, was die Abmachung zwischen ihm und Sardin bezüglich des Pakts und Leandra betraf, und sie waren ganz allein auf den guten Willen Sardins angewiesen. Victor lachte bitter auf. Bei einer Monstrosität wie Sardin so etwas wie einen guten Willen zu erhoffen war nicht viel mehr als ein schlechter Witz. Trotzdem musste er es versuchen.
Aber Sardin war gar nicht da.
Victor stand nun zum zweiten Mal auf der kleinen Rampe, die ins Nichts dieses unaussprechlichen Kosmos in Sardins Turm hineinragte, und starrte in die Höhe zu der nebelhaften Spirale auf, die sich träge um sich selbst drehte.
Im Innern des Turmes herrschte so vollständige Dunkelheit, dass er genauso gut mitten im Weltenall hätte stehen können - mit nichts als grenzenloser schwarzer Leere in allen Richtungen. Bei diesem Wort musste er an Leandra denken. Das war eines ihrer liebsten Themen; sie hatten sich oft darüber unterhalten und Victor hatte alles beigesteuert, was er aus den Büchern wusste, die er in seiner Zeit als Restaurator gelesen hatte. Aber dennoch: Es war etwas ganz anderes, hier zu stehen und tatsächlich den Eindruck dieser grenzenlose Leere um sich herum zu erleben, statt nur darüber zu reden.
Sardin jedoch blieb verschwunden. Victor rief seinen Namen; zuerst zaghaft, dann aber lauter und zuletzt wütend, denn er war überzeugt davon, dass dieser Gott ihn hörte. Angeblich litt er ja unter ewig währender Langeweile und es wäre schon sehr seltsam, wenn er ausgerechnet in dem Augenblick, da ihn einmal jemand brauchte, mit etwas anderem beschäftigt wäre. Aber so sehr Victor auch rief - Sardin zeigte sich nicht.
Victor fluchte leise in sich hinein und ließ die Blicke durch die große Leere schweifen. Inzwischen hatten sich seine Augen gut an die Dunkelheit gewöhnt, und wiewohl der Raum oberhalb seines Kopfes den Eindruck dieser unendlichen, leeren Weite beibehielt, konnte er weiter unten nun doch etwas erkennen: etwas, das ihm zuvor nicht aufgefallen war. Offenbar lief auch im Inneren des Turms ein schmaler Sims rund herum - auf der Höhe der kleinen Rampe, auf der er stand. Unten in der Dunkelheit, in die ein Schimmer von Licht von der nebligen Spirale hinabfiel, erkannte er schemenhafte Formen. Es waren nur wenige, sie zogen sich wie Linien oder Kanten unter ihm dahin, so als besäße die Halle dort unten die Form einer geöffneten Halbkugel, die von irgendwelchen Konturen durchzogen wurde.
Victor starrte angestrengt in die Dunkelheit hinab. Die Linien waren äußerst schwach und kaum zu erkennen, aber dennoch: da war etwas. Er
Weitere Kostenlose Bücher