Höhlenwelt-Saga 1 - Die Bruderschaft von Yoor
willst es nicht sagen?«
»Hab noch ein wenig Geduld.«
Leandra hob die Achseln und beschloss, es dabei zu belassen. Wenn Munuel nicht reden wollte, dann tat er es nicht.
Sie ritten jetzt in eine weite, völlig flache Graslandschaft hinein. Hier stand alles in voller Sommerblüte. Es duftete nach Blumen, Gräsern und Wald, und die Ebene war von gelbem Licht durchflutet, da über ihnen ein gewaltiges, nach Westen hin gestrecktes Sonnenfenster lag. Die Straße führte leicht nach Nordwesten in Richtung einer Stafette von knorrigen Stützpfeilern, in deren Vordergrund sich ein Fluss dahinschlängelte. Das musste die Morne sein, die irgendwann einmal Usmar erreichte. Sie gelangten bald zu einer Holzbrücke, die über die Morne hinwegführte. Kurz hinter dem Fluss gabelte sich der Weg. Ein Schild verkündete, dass es nach Nordwesten in Richtung der Stadt Mittelweg ging, die Straße nach Norden hingegen führte nach Tulanbaar und Lakkamor.
»Dieser Victor geht mir nicht aus dem Kopf«, sagte sie dann.
»So? Du meinst, weil er etwas von diesen Dunkelwesen erzählte?«
Leandra nickte. »Ja. Ich versuche, die Zusammenhänge zu erkennen.«
»Tja«, sagte Munuel, »ich denke, wir wissen noch zu wenig. Vielleicht erfahren wir in den nächsten Tagen mehr.«
Leandra hielt ihr Pferd an. »Ist das ein großer Umweg, wenn wir über Tulanbaar reiten?«, fragte sie.
Munuel runzelte die Stirn. »Nein, nicht besonders. Was willst du denn in Tulanbaar?«
Sie kratzte sich an der Nase. »Na ja, es ist nur so eine Idee. In der Festung von Tulanbaar ist doch dieser Victor eingekerkert, nicht wahr?«
Munuel überlegte. »Ja, stimmt. Was versprichst du dir davon?«
»Hm. Erstens mal stört es mich, dass man ihn hängen wird. Wir wissen beide, dass er unschuldig ist.«
»Daran habe ich auch schon gedacht, aber wir haben keine Möglichkeit, ihn davor zu bewahren. Die Leute wollen jemanden hängen sehen, und genau das wird passieren. Wir können nichts dagegen tun.«
Diese Antwort befriedigte Leandra sichtlich nicht, aber sie fuhr mit etwas anderem fort. »Mir kam vorhin ein Gedanke. Wäre es möglich, dass dieser Totenzug nicht ganz zufällig hier durchs Land zog?«
Munuel sah sie erstaunt an. »Was meinst du damit?«
Leandras Pferd begann zu tänzeln, und sie zog die Zügel an, um es zu beruhigen.
»Nehmen wir mal an«, sagte sie, »diese Schattenwesen würden einfach jede Nacht durch die Lande ziehen. Hier einen Bauernhof niederbrennen, dort ein Wirtshaus - würde das irgendeinen Sinn ergeben?«
»Na ja, ich denke, das ist wohl die Eigenart eines solchen Zuges, meinst du nicht?«
»Möglich, aber was würdet ihr vom Cambrischen Ordenshaus tun?«
»Du meinst, wenn wir davon erführen?«
»Na, das kann ja normalerweise nicht allzu lange dauern. In unserem Fall ist es schon geschehen, und der Dämon ist vernichtet. Viel Sinn ergibt das nicht, finde ich.«
»Du meinst, der Zug hatte eine bestimmte Aufgabe?«
Leandra nickte. »Besonders, weil dieser Mönch auftauchte. Zwei Erklärungen wüsste ich schon. Erstens: Der Zug sollte uns wieder einfangen. Das würde Aufschluss geben, warum wir nicht einfach getötet wurden.«
»Und zweitens?«
»Hm. Könnte sein, er hatte es zuvor speziell auf diesen Gasthof abgesehen. Sozusagen seine eigentliche Aufgabe. Und dann, als sie erfüllt war, wurde er auf uns gelenkt, weil er sich sozusagen zufällig in der Gegend befand.«
»Tatsächlich?«, sagte Munuel. »Hm, das ist ein interessanter Gedanke. Aber was könnten sie in dem Wirtshaus gesucht haben?«
»Das könnten wir vielleicht herausfinden, wenn wir wüssten, was sich dort genau zugetragen hat. Oder wer sich dort aufhielt.«
»Aha. Jetzt kommt Licht in die Sache. Dieser Victor könnte einiges wissen.« Munuel nickte. »Du hast mich überzeugt. Auf geht's, nach Tulanbaar.«
Sie wendeten die Pferde und nahmen die Straße nach Norden.
Der Nachmittag war schon fortgeschritten, und Leandra hielt es für besser, vor der Dunkelheit noch die Stadt zu erreichen, um dort Quartier zu nehmen. Ihr Bedarf an Übernachtungen im Freien war für die nächste Zeit gedeckt. Sie ritten in gutem Tempo weiter, und bald kündete ein Schild davon, dass es nur noch zehn Meilen waren.
17 ♦ Die Festung
E s war schon dunkel, als sie Tulanbaar endlich erreichten. Es war einer jener kleinen Marktflecken, die sich wie rettende Inseln der Zivilisation über das hier nur sehr dünn und dörflich besiedelte Südakrania verteilten.
In der Ortsmitte waren
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