Höllen-Mädchen
unterbrach ich die beiden. »Sag mir nur, wo sie liegt, dann kannst du ihm Wira vorstellen.«
»Okay«, strahlte sie. »Du mußt den großen Korb da nehmen.« Sie wies auf einen riesigen Korb, der an einem Seil hin und her pendelte. Das Seilende verschwand im Nirgendwo. »Gewöhnlich gehen nur Tote dorthin. Die Hölle gehört nämlich nicht mehr zum Traumreich.«
Ich ging hinüber, hielt den Korb fest und kletterte hinein. »Ich komme zurück«, verabschiedete ich mich, als der Korb in Bewegung geriet und mich davontrug. Hugo, Electra und die Gorgone winkten mir nach.
Der Korb schwebte mit mir durch die verschiedenen Traumebenen hinab zu den untersten Regionen. Schließlich landete ich im Vorhof der Hölle. Ich stieg aus, ging auf die Pforte zu und klopfte. Die Pforte öffnete sich nicht. Statt dessen erschien eine leuchtende Inschrift: ZUTRITT VERBOTEN.
»Ich bin geschäftlich hier«, beschwerte ich mich.
DANN TRIFF DICH MIT DEM DÄMON X(A/N) th gab das Schild Antwort.
»Wo kann ich ihn finden?«
ER KOMMT HIER MANCHMAL VORBEI.
Nach einigen weiteren Fragen und erhellenden Antworten verstand ich meine Lage: man mußte im Vorhof der Hölle so lange auf den Dämon warten, bis er gerade einmal vorbeikam. Das gehörte zu seinen Spielregeln. Verpaßte man aber aus irgendwelchen Gründen seine Ankunft, so gab es keine weitere Chance. Also war es am besten, hier auszuharren. Da ich mich in einem Traum befand, war das leicht möglich. Ich mußte nirgendwo hingehen und brauchte auch nichts zu essen.
So machte ich es mir bequem und wartete. Der Vorhof war klein, kahl und völlig langweilig. Er schien eigens dafür hergerichtet, jemandem das Warten besonders schwer zu machen. Aber ich war nicht irgend jemand. Ich war der Gute Magier, und ich hatte eine Frau aus der Hölle zu befreien. So konzentrierte ich mich auf das Problem und erwog die Möglichkeiten, Rose aus dieser unschönen Gefangenschaft zu befreien.
Die Zeit verstrich. Nach einer Weile wünschte ich mir meinen magischen Spiegel herbei, und sofort erschien er in meiner Hand. Dann richtete ich ihn auf das unschuldsvolle Traumreich über mir aus. Ich konnte sehen, daß Hugo und die Gorgone mit etwas recht Unterhaltsamem beschäftigt waren.
Die Gorgone hatte schon immer die Meinung vertreten, daß Hugo weibliche Gesellschaft brauchte. Sie hatte Klein-Ivy ermutigt, uns zu besuchen, aber Ivy war überall in Xanth zu Hause und verstärkte alles nach Herzenslust. Im gleichen Augenblick – mein Spiegel zeigte ein Nebenbild – traf Ivy mit Chex Zentaur, Esk Oger und Volney Wühlmaus zusammen, und sie bemühte sich, ihnen zu helfen. In ihrem mädchenhaften Wesen ähnelte sie Electra, die Hugo gerade zu Wira führte. Und die Gorgone – ich wußte genau, was sie dachte – hoffte, daß Wira ein nettes Mädchen war und sich für Hugo interessieren würde, auch wenn das nur in einem gemeinsamen Traum spielte.
Wira hielt sich in einem Rotwildgehege auf und streichelte die Hirsche. Es waren niedliche, kleine Tiere – freundlich, aber sehr scheu.
»Hallo, Wira, hier sind neue Träumer!« rief Electra ihr zu. Wira war eine schöne, junge Frau in einem hübschen, rosafarbenen Kleid und braunen Sandalen. Sie hob den Kopf. Ihre Augen hatten die gleiche Farbe wie ihr Kleid, was etwas ungewöhnlich war.
»Hallo«, grüßte sie und schien so freundlich und scheu zu sein wie das Rotwild. Die Hirsche aber liefen davon. Sie hatten zwar Zutrauen zu Wira, nicht aber zu Fremden.
»Das ist Hugo«, stellte Electra ihn freudig vor. »Er ist auch sechzehn.«
»Sehr erfreut.« Wira streckte ihre Hand aus und lächelte traurig. »Bist du für längere Zeit hier, Hugo?«
»Nein, nicht für lange.« Hugo nahm ihre Hand. Es war unübersehbar, daß er Gefallen an ihr fand. Leider wurde er von keinem Mädchen ernstgenommen, wenn sie erst einmal seinen zwergenhaften Wuchs und sein mangelhaftes magisches Talent bemerkten. Das war sein tragisches Schicksal. Und wie nicht anders zu erwarten, sagte er auch schon etwas äußerst Dummes: »Ich würde gerne mit dir eine Liebesquelle besuchen.«
Ich zuckte zusammen, doch Wira ließ sich dadurch nicht verwirren. »Ach, es würde keinerlei Wirkung auf mich haben«, seufzte sie. Das war eine befremdliche Antwort. »Ich bin dagegen gefeit.«
»Oh, ist das dein Talent?«
»Nein, meine Gabe ist eine besondere Empfindsamkeit. Ich kann gewissermaßen fühlen, wie die Dinge wirklich sind. Darum kann ich das Rotwild auch streicheln. Die Tiere sind
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