Hoellenflirt
schneiden soll. Ich fürchte, da kann ich nicht sehr viel rausholen.«
»Macht nichts«, sagt Kati tapfer, »Hauptsache, unsere Mutter fällt nicht in Ohnmacht.«
Mama! Oh Gott, die hab ich völlig vergessen! Ich muss sie dringend anrufen.
»Ihre Haare sind ja ganz nass und Sie fühlen sich so kalt an. Wollen Sie vielleicht einen Kaffee?«, fragt die Friseurin und schaut auch zu mir her.
Wir nicken beide, woraufhin die Dame hinter dem Vorhang verschwindet. Es klappert leise.
»Wir müssen Mama anrufen. Wir sind bestimmt schon mehr als eine Stunde weg.« Kati holt ihr Handy raus und hält es mir hin.
»Nein, das musst du machen.« Ich schüttle den Kopf. »Du kannst das besser. Bei mir ist sie bestimmt gleich böse.«
Kati drückt die Kurzwahltaste und hat Mama sofort dran. Sogar ich kann hören, wie sauer sie ist. Kati versucht, sie zu beruhigen, und sagt, dass wir noch in ein Café gegangen sind, weil wir unterwegs Freunde getroffen hätten und bald kommen würden, und als Mama gar nicht aufhört zu schimpfen, kratzt Kati über ihr Handy und benutzt die älteste aller Ausreden. »Mama, Mist, der Akku ist gleich alle, also bis gleich, Küsschen Mamsi, sei nicht sauer.« Dann legt Kati auf. »Mir ist so übel...«Sie stöhnt. »Was machen wir eigentlich nach dem Friseur?«, fragt sie dann leise.
Es duftet nach Kaffee und das Klappern kommt wieder näher.
»Ich muss Valle finden«, antworte ich, »und dazu werde ich noch einmal zu der Kirche gehen.«
In diesem Moment ist die Friseurin wieder zurück. »Sie gehen in die Kirche«, sie nickt mir beifällig zu, »das ist aber selten bei den jungen Leuten heute. Zu welcher Gemeinde gehören Sie denn?«
Weil mir nichts anderes einfällt, sage ich: »St. Angela.«
Die Friseurin stellt jeder von uns eine weiße Kaffeetasse mit Goldrand hin, auf deren Unterteller ein Milchdöschen und ein Zuckertütchen liegen und sogar ein Vanillekipferl. Solche backt Mama immer zu Weihnachten, ich muss schlucken und merke gleichzeitig, dass ich Hunger habe.
»St. Angela?« Die Friseurin schüttelt dabei den Kopf. »Also da würd ich ja auf keinen Fall hingehen, wegen der Sache damals mit den Holzwürmern.«
Kati und ich schauen uns verblüfft an. Was soll das denn heißen? Das klingt ja noch merkwürdiger als Satanisten im Keller.
»Wie meinen Sie das?«, frage ich, nachdem ich einen Schluck Kaffee genommen habe. Die heiße Flüssigkeit brennt in meiner Kehle.
»Schmeckt sehr gut!«, sagt Kati und es stimmt.
»Na, die haben damals die Kirche ausgegast und dann sind nebendran die Leute gestorben wie die Fliegen.«
Die Friseurin sieht nicht aus, als ob sie in eine Zwangsjacke gehört, aber plötzlich muss ich doch an den Film Arsen und Spitzenhäubchen denken und stelle meine Kaffeetasse wieder ab.
»Das verstehe ich nicht«, sagt Kati. »Klingt etwas merkwürdig, eine Kirche begasen?«
Die Friseurin prüft gerade die Schneide ihrer Schere. »Na, da war überall der Holzwurm drin und dann wurde eben die Kirche mit so einem Schädlingsmittel ausgegast. Heute macht man so etwas ja nicht mehr.«
»Und was hat das mit den Toten zu tun?«, frage ich jetzt mit vollem Mund.
Die Friseurin schaut uns an, als wären wir etwas schwer von Begriff. »Na, die haben die Kirche nicht richtig abgedichtet. Offenbar sind Gase durch Verbindungstüren im Keller ins Nachbarhaus eingedrungen. Die Kirchenleute haben gar nicht gewusst, dass es diese Durchgänge gab. Später sind sie dann zugeschüttet worden.«
»Und in welchem Haus waren die Leichen?«, fragt Kati.
»Also, gestorben ist nur einer, soweit ich das in Erinnerung hab. Aber krank waren alle, die da gewohnt haben.«
Mein Magen knurrt plötzlich und will trotz dieser makabren Unterhaltung mehr Vanillekipferl – essen, ja, essen!
»Ich glaube, damals war die Metzgerei Wagenmüller drin, aber die gibt’s ja leider nicht mehr, dabei hatten sie so gute geräucherte Leberwurst.« Die Friseurin schneidet Katis restliche Haare ab. »Nein, in dem Haus ist jetzt etwas anderes, ich glaube, es ist ein Bioladen. Jedenfalls gehe ich in keine Kirche, wo tödliches Gas drin war, das kann ja nicht gesund sein. Und dann . . .«, ihre Stimme senkt sich zu einem Flüstern, »dann sind da ja immer noch die Millionen Leichen von den Holzwürmern im Gebälk. Das ist doch irgendwie unappetitlich, oder?«
»Absolut«, stimmen wir zu und nun habe ich doch keinen Hunger mehr.
Kati betrachtet im Spiegel aufmerksam, wie ihre letzten Haarsträhnen zu Boden
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