Hoellischer Verrat
gefaltetes Blatt Papier auf, das mitten im Flur lag. Ich bückte mich und hob es auf. Es sah so aus, als hätte es jemand einfach unter dem Türschlitz durchgeschoben. Schon als ich das fett gedruckte Wort über dem kurzen Text las, jagte eine Gänsehaut über meinen Körper.
Eigentlich brauchte ich die Zeilen gar nicht mehr zu lesen, denn die Überschrift »Kündigung« sagte schon alles. Langsam ließ ich das Blatt sinken. Sie kündigten mir die Wohnung. Angeblich war das Haus baufällig und seine Statik nicht mehr sicher. Ich las die Worte »Einsturzgefahr« und »Kernsanierung« und trotzdem konnte ich das misstrauische Gefühl in der Magengegend kaum ignorieren.
Die Kündigungsfrist war so knapp bemessen, dass ich es kaum schaffen würde, in dieser kurzen Zeit eine neue Bleibe zu finden. Ganz zu schweigen von dem Aufstand, den Mutter machen würde, wenn ich nicht wieder zu ihnen zöge. Die Wohnung war billig und mehr konnte ich mir nicht leisten. Dementsprechend schwierig würde es werden, eine neue Bleibe zu einem ähnlich günstigen Preis zu bekommen.
Warum nur hatte ich das Gefühl, dass hier etwas nicht mit rechten Dingen zuging? Wütend trat ich die Wohnungstür mit dem Fuß zu und wechselte im Schlafzimmer rasch mein Outfit. Dann warf ich ein bisschen Wäsche zum Wechseln in eine kleine Reisetasche und hastete wieder aus der Wohnung. Die Kündigung hatte ich in meine Umhängetasche geschoben, um sie nachher noch mal genau zu studieren.
Im Hauptquartier gab es keine wirklichen Neuigkeiten. Rikis Zustand war immer noch schlecht, bei Pina sah es so aus, als würden die blauen Adern beginnen zu verschwinden. Obwohl sie ihre Hand nicht spürte, wuchs zumindest die Haut dort wieder an.
Yaris saß an ihrem Schreibtisch, als ich mir grüßend meinen Weg durch den Raum bahnte. Sie musterte mich mit unverhohlener Anerkennung.
»Was hast du gemacht? Du siehst super aus!«
Ich sah an mir hinunter, weil ich aussah wie immer: Langarmshirt, Lederröhre, schwere Boots und Umhängetasche. Außerdem ungeschminkt und mit nachlässig zusammengehaltenen Haaren am Hinterkopf.
»Es ist nicht das Outfit, du strahlst so.«
Sofort dachte ich an Tarsos und wie gut es mir bei ihm gefallen hatte. Also beugte ich mich vertraulich über den Tisch zu ihr hinüber. Yaris, die sofort erkannte, dass sie nun brandheiße, vertrauliche Informationen zu hören bekommen würde, reckte sich mir in unverkennbarem Interesse noch mehr entgegen.
»Ich war bei Tarsos«, flüsterte ich.
»Was?«, raunte sie zurück. »Habt ihr etwa …? Strahlst du deshalb so?«
»Nein. Aber es knistert gewaltig. Nur verplapper dich bitte nicht vor Mik, er rastet sonst nur unnötig aus. Er ist immer noch so eifersüchtig, obwohl wir schon über ein Jahr getrennt sind.«
»Niemals! Und wie war es? Trefft ihr euch wieder?«
»Ich fahre nach der Arbeit zu ihm.«
»Wow!«
Ich konnte nicht verhindern, dass eine prickelnde Wärme über meine Wangen flammte, als ich an ihn dachte. »Das Wort ‚Wow‘ trifft es schon ganz gut, denke ich.«
»Achtung, Mik beobachtet uns«, sagte Yaris plötzlich und zog den Kopf zurück. Ich richtete mich auf und wollte zur Ablenkung in meiner Tasche kramen, als meine Finger zufällig den gefalteten Bogen Papier zu fassen bekamen.
»Das sind übrigens die allerneuesten Neuigkeiten«, sagte ich und legte Yaris das Kündigungsschreiben auf den Tisch. Sie überflog kurz den Text und blickte ungläubig zu mir auf.
»Sie schmeißen dich aus deiner Wohnung?«
»So sieht es aus.«
»Mit der Begründung, dass das Haus einsturzgefährdet ist?«
»Angeblich, ja.«
»Hast du denn selbst schon Mängel am Haus bemerkt?«
Ich zuckte die Schultern. »Du weißt doch, wie es bei mir aussieht. Aber Risse in den Wänden oder irgendetwas, das auf eine mangelnde Statik hinweist, habe ich bisher nicht feststellen können.«
»Waren Experten da und haben etwas vermessen oder so?«
»Nein, nicht dass ich wüsste.«
Yaris zog die Stirn kraus. »Der Termin, bis zu dem die Wohnung geräumt sein muss, ist auch ein Witz. Sie begründen es mit der akuten Gefahr für alle Mieter, aber mal im Ernst: Wer soll denn in den paar Tagen eine neue Bleibe finden und auch noch einen Umzug über die Bühne bringen?«
»Ehrlich gesagt, keine Ahnung.«
»Und was wirst du nun machen?«
Ratlos starrte ich auf meine Schuhspitzen. »Gute Frage.«
»Ich meine, du könntest natürlich eine Weile bei mir wohnen, aber wo lässt du deine Einrichtung? Du
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