Hoffnung am Horizont
Ampeln und Geschwindigkeitsbeschränkungen zu
ignorieren, denn es dauert nur Minuten, bis er neben mir steht. Dann nimmt er mir
sanft das Handy aus der Hand und hebt mich hoch. Sofort vergrabe ich mein
verheultes Gesicht an seiner Schulter und lasse mich von seinem Geruch
einhüllen, wie in einen schützenden Kokon. Ich fühle mich, wie ein kleines
Kind, das glaubt, wenn Mama da ist wird alles gut. Genauso geht es mir mit
Gabes Nähe in diesem Moment.
Vorsichtig trägt er mich
zu seinem SUV und legt mich auf den Beifahrersitz. Die Rückenlehne hat er
vorher schon so weit es geht zurückgeklappt, damit ich möglichst flach liegen
kann, dann rast er mit viel zu hohem Tempo zum Krankenhaus.
Dort komme ich sofort in
einen Untersuchungsraum. Nur am Rande bekomme ich mit, wie Gabe den Ärzten meine
Daten und die der Schwangerschaft gibt. Ich liege da und starre blicklos an die
Decke, die Hände fest auf meinem Bauch, als wären sie eine Verbindung zu meinem
Kind. Meine Tränen sind versiegt, immer wieder bete ich vor mich hin und bitte
mein Baby, nicht zu sterben. Ich verspreche ihm alles Mögliche, wenn es nur
gesund ist. Ich würde wirklich alles für dieses Kind tun. Absolut alles. Noch
nie zuvor habe ich so empfunden und noch nie hatte ich solch panische Angst.
Die vielen Menschen mit
den weißen Kitteln interessieren mich nicht, ich nehme sie kaum wahr. Sehnsüchtig
warte ich darauf, dass mich einer dieser sonst so gefürchteten Ärzte untersucht
und mir sagt, was mit meinem Baby ist. Es kommt mir vor wie eine Ewigkeit, bis
endlich alle Formalitäten geklärt sind und ein Arzt Zeit für mich hat. Gabe
steht auf einmal neben mir und hält die ganze Zeit meine Hand. Ich habe ihn
noch nie so besorgt gesehen. Seine Augen wirken unendlich traurig, er ist so
leichenblass und um seine zusammengepressten Lippen liegt ein verkniffener
Ausdruck, wie ich ihn noch nie zuvor gesehen habe und das macht mir noch mehr
Angst.
„Gabe…?“, spreche ich ihn
an.
„Alles wird gut, Jules.“,
sagt er und tätschelt fast ein wenig unbeholfen meine Hand, aber er kann mir
nicht in die Augen sehen, sein Blick schweift unstet durch den Raum und ich
kann seinen Worten nicht glauben.
Nicht wenn er aussieht,
als würde er sie selbst nicht glauben können.
Ich werde gründlich
untersucht und endlich kommt der erlösende Ultraschall. Da, auf dem Bildschirm
ist unser Baby, sein kleines Herzchen schlägt ganz gleichmäßig und es scheint
von der ganzen Aufregung völlig unberührt.
Minutenlang sehe ich nur
dieses kleine Wesen, bis der Arzt den Schallkopf von meinem Bauch nimmt. Tränen
der Erleichterung laufen mir über die Wangen und auch Gabe wischt sich
verstohlen die Augen, als ich zu ihm aufsehe.
„Unser Baby ist gesund.“,
flüstere ich und fühle mich, wie von einer Zentnerlast befreit.
„Ja, mein Mädchen, unser
Baby ist gesund.“, flüstert
Gabe leise zurück.
Ich muss noch ein paar
Tage zur Beobachtung dort bleiben und dieses Mal wehre ich mich nicht. Für
unser Baby tue ich alles, ich ertrage sogar die Zeit im Krankenhaus. Ich
bekomme ein Einzelzimmer und Gabe weicht nicht von meiner Seite.
Nach der ganzen Aufregung
bin ich müde und muss erst einmal schlafen.
Als ich aufwache sitzt
Gabe neben meinem Bett. Sein Kopf liegt neben meinem und er schläft tief und
fest. Vorsichtig streiche ich ihm die dunklen Haare aus dem Gesicht und gebe
ihm einen kleinen Kuss auf die Stirn. Ich habe ihn noch nie schlafend gesehen,
fällt mir auf. Er sieht entspannt aus und viel jünger, als seine 31 Jahre. In
diesem Moment wird mir klar, ich liebe ihn immer noch und ich weiß jetzt, das
wird auch nie vergehen.
Egal wie oft er mich
grimmig anstarrt, egal wie oft er mich anderen gegenüber ignoriert, ich weiß,
dass ich ihn genauso liebe wie unser Baby. Doch wie sehr ich ihn auch liebe,
ich kann ihn nicht ändern, ich bin anscheinend die Falsche für ihn. Aber
immerhin bekomme ich sein Baby. Unser Baby. Ein wenig traurig betrachte ich ihn,
bis eine Schwester hereinkommt, um nach mir zu sehen und mich zu einer weiteren
Untersuchung abzuholen.
„Geh nach Hause Gabe, du
musst schlafen. Ich komme hier klar.“, schicke ich ihn los, als er gähnend
erwacht und sich mit beiden Händen das Gesicht reibt.
Ich habe keine Angst mehr,
mir kommt es vor, als hätten die Ärzte unser Baby gerettet und dafür bin ich
unendlich dankbar. Wie könnte ich jetzt noch Angst haben?
In dieser Nacht schlafe
ich ruhig und schmerzfrei und erwache
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