Hogan, S: Steampunk-Saga: Episode 6
Noch hat angeblich niemand versucht, in das Gebäude einzudringen.“
Dann wird es höchste Zeit , dachte Kate. Wenn Leclerc die Wahrheit gesagt hatte, dann lag eines der beiden Ziele ihrer Mission zum Greifen nahe vor ihnen. Diese Aussicht half Kate dabei, Leclercs Verführungsversuchen nicht zu erliegen. Jedenfalls vorerst nicht.
„Ich kann verstehen, dass Sie Ihre Belohnung haben wollen, Roger“, sagte Kate einschmeichelnd, wobei sie sich trotzdem aus seiner Umarmung losmachte. „Aber ich dachte immer, Franzosen seien so große Romantiker. Ist es nicht schrecklich profan, sich am hellen Tag in der Tür eines Herrenzimmers zu küssen? Gestern Abend haben Sie sich so große Mühe damit gegeben, eine anregende Atmosphäre zu schaffen. Und heute wollen Sie auf Ihr Ziel losstürmen wie ein betrunkener Karrenschieber am Zahltag? Sie enttäuschen mich ein wenig, ehrlich gesagt.“
Der Bohemien atmete tief durch. Kate war sicher, dass sein Blut nun wie heiße Lava durch seine Adern jagte. Leclercs Brustkorb hob und senkte sich in einem schnellen Rhythmus. Natürlich war es ein Kompliment für Kate, dass ihre Nähe solche heftigen körperlichen Reaktionen bei ihm auslöste. Wieder einmal erkannte sie, dass Leclerc ihr ganz und gar nicht gleichgültig war. Was würde sie tun, wenn er ihr Kleid aufknöpfen und ihr Korsett aufschnüren würde? Kate war nicht sicher, ob sie ihn wirklich davon abhalten wollte. Die Aussicht, seine warmen großen Männerhände auf ihrer Haut zu spüren, hatte schon etwas sehr Verlockendes.
Aber Leclerc schaffte es tatsächlich, Kate loszulassen. Allerdings merkte man ihm deutlich an, dass es ihm nicht leicht fiel. „Sie haben recht, Kate. Wie heißt es doch im Sprichwort so schön? Vorfreude ist die schönste Freude. Ich kenne jedenfalls den genauen Standort des Verstecks der Paris-Maschine. Und es wird mir ein besonderes Vergnügen sein, Sie und Ihre Verwandten dorthin zu führen.“
Leclerc fragte überhaupt nicht nach, warum sich die drei Engländer für das Geheimprojekt interessierten. Entweder kümmerte es ihn nicht oder er wollte es unbedingt vermeiden, Kate zu verstimmen. Sie war jedenfalls sehr erleichtert darüber, dass sie für den Kuss mit Leclerc noch eine Galgenfrist bekommen hatte.
„Ich spüre plötzlich einen höchst undamenhaften Wolfshunger!“, verkündete Kate halb scherzhaft. „Abgesehen von einem seltsamen, luftigen Hörnchen am frühen Morgen habe ich noch keine Nahrung zu mir genommen.“
„Es gibt hier in der Nähe ein kleines Bistro, das auch Hauslieferungen macht“, sagte Leclerc. „Ich muss ohnehin noch einmal fort, um einige Dinge zu erledigen. Ich kann dort vorbeigehen und dafür sorgen, dass man Ihnen und Ihren beiden Verwandten eine gute Mahlzeit bringt.“
Dieses Angebot nahm Kate natürlich gern an, da sie sich nach wie vor nicht auf Französisch verständigen konnte.
Leclerc zeigte ihr noch kurz die Gästezimmer, die er für Kate und die beiden anderen Engländer vorgesehen hatte. Ansonsten verfügte das Haus über einen großen Salon im Erdgeschoss und viele Räume, die offenbar gar nicht bewohnt wurden. Es kam Kate wie ein unglaublicher Luxus vor, ganz allein in einem solchen geräumigen Palais zu wohnen.
Leclerc verabschiedete sich mit einem glutvollen Blick von ihr. „Du bist es wert, dass man deinetwegen über den eigenen Schatten springt. – Adieu, Kate.“
Sie schnappte nach Luft, und das nicht nur, weil Leclerc sie erstmals geduzt hatte. Gewiss, mit den Kerlen im Londoner East End war Kate ganz selbstverständlich auf Du und Du. Aber in der gehobenen Gesellschaft, wo sie sich jetzt bewegte, stellte Leclercs Vorstoß eine weitere Frechheit dar. Aber sie musste sich eingestehen, dass seine Unverfrorenheit ihr sehr gefiel. Außerdem – was konnte er mit seiner geheimnisvollen Bemerkung gemeint haben? Inwieweit sprang der Bohemien über seinen Schatten? Kate wusste es nicht. Aber für sie stand fest, dass seine Worte wohlige Schauer auf ihrem Rücken entstehen ließen. Leclerc war eben ein Mann, der eine große Faszination auf sie ausübte. Kate war sehr stolz auf sich, weil sie sich seiner Umarmung hatte entwinden können.
Nachdem der Bohemien das Stadtpalais verlassen hatte, eilte Kate zu Benson und Fletcher in den Schuppen. Der Erfinder hatte bereits damit begonnen, einige Querstreben und eine seltsame Vorrichtung mit Sprungfedern und Bolzen am Chassis des Drehflüglers zu befestigen. Der Kriminalassistent ging ihm dabei zur
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