Hohle Köpfe
Ratten, die übrigge-
blieben sind. Zum Mitnehmen.« Er sah auf die Speisekarte, suchte in
seinen Taschen und blickte fragend durch die offene Tür zu Angua.
»Du brauchst es nicht zu kaufen .« Sie seufzte. »Es handelt sich um Beweismaterial. «
»Wir dürfen nicht zulassen, daß ein Geschäftsmann zu Schaden
kommt, der ein Opfer der Umstände sein könnte«, entgegnete Karotte.
»Möchtest du Ketchup?« fragte Gimlet. »Kostet al erdings extra.«
Der Leichenwagen rollt langsam über das Pflaster. Er sah teuer aus, aber
das war typisch für die Unbesonnenheitsstraße. Ihre Bewohner legten
etwas auf die hohe Kante. Mumm erinnerte sich daran. In der Unbeson-
nenheitsstraße wurde immer viel gespart. Man legte das Geld für die Not
zurück, selbst wenn man bereits Not litt. Und man starb vor Scham,
wenn die anderen Leute glaubten, daß man sich nur ein billiges Begräb-
nis leisten konnte.
Sechs in schwarz gekleidete Trauernde schritten hinter dem Wagen,
begleitet von einigen Personen, die wenigstens versucht hatten, anständig
auszusehen.
Mumm folgte dem Trauerzug in einigem Abstand bis zum Friedhof
hinter dem Tempel der Geringen Götter. Dort wartete er vol er Unbeha-
gen zwischen den Grabsteinen und ernst anmutenden Bäumen, während
der Priester predigte.
Die Götter hatten die Bewohner der Unbesonnenheitsstraße arm, ehr-
lich und vorausschauend gemacht. Sie hätten ihnen auch Schilder mit der
Aufschrift »Tritt mich in den Hintern« um den Hals hängen können. Die
Bewohner der Unbesonnenheitsstraße waren religiös, zumindest auf eine
unauffällige Art. Sie investierten etwas von ihrer Existenz in der Hoff-
nung, das Leben in Armut für alle Ewigkeit fortzusetzen.
Schließlich wandten sich die Trauernden von den Gräbern ab und
wanderten ziel os herum.
Mumm bemerkte eine tränenüberströmte junge Frau in der Haupt-
gruppe und näherte sich vorsichtig. »Äh… Mildred Leicht?« fragte er.
Sie nickte. »Wer bist du?« Sie bemerkte den Schnitt seiner Jacke und
fügte hinzu: »Herr?«
Mumm nahm die junge Frau taktvoll beiseite. »Habt ihr Frau Leicht
beerdigt, die alte Schneiderin?«
»Ja.«
»Und der… kleine Sarg?«
»Unser Willibald…«
Erneut rannen Tränen über Fräulein Leichts Wangen.
»Kann ich dich kurz sprechen?« fragte Mumm. »Viel eicht kannst du
mir über ein oder zwei Dinge Auskunft geben.«
Mumm verabscheute seine eigene Denkweise. Ein normaler Mensch
hätte in dieser Situation Respekt gezeigt und wäre stumm fortgegangen.
Doch als er nun zwischen den kalten Grabsteinen stand, erfaßte ihn ein
schrecklicher Verdacht. Er ahnte, daß die Antworten bereits existierten;
sie warteten nur noch darauf, daß er die richtigen Fragen stellte.
Die junge Frau blickte zu den anderen Trauernden. Sie hatten inzwi-
schen das Friedhofstor erreicht und blickten neugierig zurück.
»Äh…«, sagte Mumm. »Ich weiß, dies ist kein geeigneter Zeitpunkt,
aber… Wenn die Kinder auf der Straße Himmel-und-Höl e spielen, was
singen sie dabei? ›Salz, Senf, Essig, Pfeffer‹, nicht wahr?«
Das Dienstmädchen musterte sein besorgtes Lächeln. »Das stammt
vom Seilhüpfen«, erwiderte sie kühl. »Beim Himmel-und-Höl e-Spiel
singen die Kinder ›Billy Bonkers ist ein Blödmann‹. Wer bist du?«
»Ich bin Kommandeur Mumm von der Stadtwache.« Waldemar
Schlappi lebte also noch immer in dieser Straße, wenn auch in anderer
Gestalt und mit anderem Namen. Und Altes Steingesicht war einfach
jemand, den man auf dem Scheiterhaufen verbrannte…
Die junge Frau schluchzte plötzlich.
»Schon gut, schon gut«, sagte Mumm in möglichst tröstendem Tonfal .
»Ich bin in der Unbesonnenheitsstraße aufgewachsen, und deshalb… Ich
meine, ich bin gekommen, um… Ich habe keineswegs die Absicht…
Hör mal, ich weiß, daß du Speisen aus dem Palast mitgenommen hast.
Mich stört das nicht. Es liegt mir fern, dich deswegen… Ach, verdammt,
möchtest du vielleicht mein Taschentuch? Ich glaube, deins ist inzwi-
schen voll.«
»Al e machen es!«
»Ich weiß.«
»Und der Koch sagt nie etwas…« Weitere Tränen strömten.
»Ja, ja.«
»Jeder nimmt ein paar Dinge mit«, gestand Mildred Leicht. »Das ist
kein Stehlen .«
Doch, genau das ist es, dachte Mumm. Aber mich kümmert’s nicht.
Und nun… Er hatte das Gefühl, als nähme er einen langen Kupferstab
und ginge damit den Hang des nächsten Hügels hinauf, während sich am
Himmel dunkle Gewitterwolken
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