Hollys Weihnachtszauber
beschleunigt wurde.« Traurig schüttelte er den Kopf. »Nicht dass Alex sie sonderlich gemocht hätte – es war ihr erster Besuch in Old Place, und sie ließ nur zu deutlich durchblicken, dass sie ein sehr viel größeres und herrschaftlicheres Haus erwartet hatte.«
»Ich finde es reichlich groß und herrschaftlich«, sagte ich überrascht.
»Na, wenn sie Guy heiratet, braucht sie hier ja nicht zu wohnen – und Jude muss eben einfach vergeben und vergessen.«
»Ich glaube sowieso nicht, dass sie viel hierherkommen wird«, sagte Jess. »Sie hat ganz und gar nicht den Eindruck gemacht, als würde sie sich auf dem Land wohlfühlen, und sie wollte nicht aus dem Haus, außer im Auto, weil sie nichts anderes als Stöckelschuhe dabeihatte, obwohl sie sich ja Gummistiefel hätte ausleihen können. Und sie hat Angst vor Pferden und Hunden. Omi meint, sie ist der Typ ›außen Pelzmantel und drunter kein Schlüpfer‹, und Guy hätte was Besseres kriegen können.«
Mir geriet der Schluck Tee in den falschen Hals, und ich musste husten, bis mir das Wasser in die Augen trat.
»Ich finde wirklich, du solltest diesen Ausspruch nicht vor anderen Leuten wiederholen«, mahnte Noel milde.
»Wie in aller Welt hat sie Jude überhaupt kennengelernt?«, fragte ich. »Es klingt ja nicht so, als hätten die beiden viel gemeinsam.«
»Sie ist Model und macht sich wohl Hoffnungen darauf, Schauspielerin zu werden. Irgendwer hat sie zur Vernissage von Judes letzter großer Retrospektive mitgebracht und die beiden einander vorgestellt. Sie ist wirklich ausgesprochen hübsch, wenn einem blonde Frauen gefallen.«
»So muss es bei Onkel Jude dann wohl sein, oder?«, sagte Jess.
»Gegensätze ziehen sich ja bekanntlich an«, meinte ich.
»Du hast ganz dunkle Haare, war dein Mann denn blond?«
»Jess, du solltest den Leuten wirklich nicht so persönliche Fragen stellen!«
»Das stört mich nicht – und ja, mein Mann hatte blonde Haare und blaue Augen. Seine jüngere Schwester ist meine beste Freundin und sieht genauso aus – auch sie ist wirklich hübsch.«
Wie sehr hatte ich mir in der Schulzeit gewünscht, klein, blond und niedlich zu sein, anstatt alle zu überragen, sogar die Jungs! Noch dazu war ich dünn wie eine Bohnenstange, was meine Unsicherheit nur verstärkte – auch wenn ich nicht sagen konnte, ob es später irgendwie besser wurde, als ich Rundungen bekam und die Männer anfingen, mehr mit meinem Busen zu sprechen als mit mir … bis auf Alan, natürlich.
»Also, ich finde, wir sollten jetzt gehen!«, sagte Noel und stand auf.
»Ich mache morgen einen Erkundungsgang ins Dorf«, erklärte ich ihm. »Ich komme im Torhaus vorbei und frage nach, ob ich euch irgendetwas aus dem Laden mitbringen kann.«
»Ich werde es Tilda ausrichten«, versprach er. »Sehr freundlich von dir!«
Weit entfernt davon, in Old Place abgeschieden und allein zu sein, rannten mir die Besucher hier anscheinend nur so die Türe ein!
Der Tag war in Windeseile vergangen, und deshalb schickte ich mich an, in einem Eimer die getrocknete Rote Bete für Ladys Gute-Nacht-Brei einzuweichen, und nahm dann diesen und ein paar von Billys Ziegen-Leckerli mit hinaus, um die beiden in den Stall zurückzulocken.
Dank einiger vorab erteilter Ratschläge von Becca wusste ich, wenn ich den Eimer dabeihatte, würde Lady mir einfach in die Stallbox folgen und Billy mit ihr kommen, und so war es auch. Dann schloss ich die beiden für eine gemütliche Nacht im Warmen ein.
Nach meinem Gespräch mit Noel legte ich die Kochbuch-notizen beiseite, holte Omas Tagebuch herunter und las darin bis zum späten Abend. Wieder war ich versucht vorzublättern und nachzusehen, ob ich einen weiteren Eintrag über Ned Martland entdeckte, aber ich erfreute mich an all den Einzelheiten aus Omas Leben, während sie unter dem Einfluss von Hilda und Pearl mehr und mehr aus sich herauskam, und wollte nicht vorgreifen: Hier hatte man ein Mädchen vor sich, dessen Vorstellung von einer ausschweifenden Nacht in einem Kinobesuch bestand!
Ich beendete dieses Tagebuch und las die ersten zwei Seiten des nächsten vor dem Einschlafen im Bett. Mittlerweile war Oma dazu übergegangen, den neuen Patienten mit dem Kürzel »N. M.« zu bezeichnen! Mir ging auf, dass ihre Pfade sich auf ganz natürlichem Wege mit denen des Ned Martland von Old Place hätten kreuzen können – und nach dem, was Noel über seinen Bruder als schwarzes Schaf gesagt hatte, müsste ich mir wirklich Sorgen um sie
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