Hollys Weihnachtszauber
sarkastisch, und dann lauschte ich ins Leere: Er hatte aufgelegt.
In gleichem Maße erschöpft wie verärgert fiel ich ins Bett, und auch die nächsten paar Seiten von Omas Tagebuch waren mir kein großer Trost, denn ich sah schon bedrohlich kommen, wie die Dinge sich weiterentwickeln würden:
Die Oberschwester hat mich heute Morgen beim Lachen mit N erwischt und mir dafür die Leviten gelesen. Ich war ganz aufgelöst deswegen und hatte Glück, nicht von dieser Station abgezogen zu werden. N war rührend und sagte, wenn er erst wieder gesund sei, würde er es bei mir wiedergutmachen, auf welche Weise, verriet er allerdings nicht …
Nun, immerhin bekäme ich über Weihnachten vielleicht Gelegenheit, von Noel mehr über Ned Martland zu erfahren, schließlich gibt es hinter jeder Wolke auch einen Silberstreif am Horizont, selbst wenn das Silber manchmal ein bisschen dunkel angelaufen ist.
Kapitel 12
Vollmundig und fruchtig
Heute wurde N aus dem Krankenhaus entlassen und zur Rekonvaleszenz nach Hause geschickt, doch vor seiner Abreise nahm er meine Hand und bat mich inständig, ihn an meinem nächsten freien Nachmittag zu treffen. Wider besseren Wissens erklärte ich mich schließlich einverstanden, verlangte jedoch, dass es an irgendeinem abgelegenen Ort sein müsse, da ich nicht zum Gegenstand von Klatschgeschichten der anderen Schwestern werden möchte.
Februar 1945
Der Schnee von gestern war bis zum Abend halb weggeschmolzen, über Nacht gefror er allerdings zu Eis, und mit einer frischen Schneedecke darüber wurde die Lage draußen ganz schön tückisch. Ich war besorgt, ob Lady auf dem Kopfsteinpflaster laufen könne, und rief Becca an, um zu fragen, ob ich sie trotz allem hinauslassen solle.
»Aber natürlich«, sagte sie, und sie hatte ganz recht, denn Lady ging mit kleinen, vorsichtigen Schritten über den Hof und zur Weide, als hätte sie es schon ihr Leben lang so gemacht – was wahrscheinlich auch der Fall war.
Außerdem hatte Becca gesagt, sie freue sich auf den Weihnachtstag. Ich war anscheinend die Einzige, der es nicht so ging. Ich erreichte sie, als sie gerade zur Kirche wollte, denn offenbar kommt alle vierzehn Tage der Pfarrer von Great Mumming herüber, um einen Gottesdienst abzuhalten, und das war heute: In der Tat konnte ich, als sie das Gespräch beendete, das entfernte Läuten der Glocken hören.
Die mit Alkohol getränkten Früchte für den Christmas-Cake dufteten berauschend und köstlich, als ich die Schüssel in die Küche holte und anfing, die übrigen Zutaten herauszusuchen und abzuwiegen, was mit dem Einfetten und Bestäuben der Kuchenform zusammen am meisten Zeit beansprucht. Zum Glück gab es ein gutes Sortiment in allen Größen und Formen, und ich hatte am Tag zuvor in einem der Schränke eine hinreichend große entdeckt.
Als der Kuchen fertig und zusammen mit einigen Mince-Pies für den mittlerweile absehbar unablässigen Zustrom heißhungriger Besucher im Backofen war, setzte ich mich mit einer Tasse Kaffee hin, um mich für eine weitere Runde verhasstes Putzen zu wappnen, dieses Mal in den Schlafzimmern.
Allmählich hatte ich davon schon ziemlich die Nase voll – ganz zu schweigen von Jude Martland, dem ich all diese Zusatzarbeiten zu verdanken hatte! Und als Jess wieder auftauchte, war ich diesmal sehr viel unbarmherziger darin, ihre Mithilfe einzufordern.
Sie erklärte mir, welche Räume ihre Großeltern und Becca üblicherweise bekamen, und sagte, sie selbst schliefe immer im alten Kinderzimmer. Die Zimmer schienen seit dem letzten Weihnachtsfest nicht benutzt worden zu sein, sodass es abgesehen von Staubwischen und der Aufgabe, die Betten mit nach Lavendel duftenden Leintüchern aus dem großen Schrank neben der Treppe am Ende des Korridors zu beziehen, kein allzu großer Zeitaufwand war, sie herzurichten – sehr viel weniger, als ich erwartet hatte.
Jess zeigte mir im Kinderzimmer den Schrank voll alter Spielsachen, wenngleich einige davon eher jüngeren Datums waren, hauptsächlich Massenvernichtungswaffen im Kleinformat, die Guy und Jude gehört haben dürften. Der Raum lag an der Rückseite des Hauses und bot wie meiner und Judes einen hervorragenden Blick auf die Pferdefigur am Hang des turmgekrönten Snowehill, der heute seinem Namen in der Tat alle Ehre machte. Das rote Pferd war jetzt weiß und praktisch kaum zu erkennen, gerade so wie Lady auf der darunter liegenden Koppel, Billy allerdings sah man als kleinen dunklen Klecks.
Als wir im
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