Hollywood
Bandenchef der Stadt. Joe sagte nichts.
Aber Jamaica hatte offenbar seine Gedanken gelesen. »Man kann durchaus mit ihm reden. Mister B. ist kein Unmensch.«
»Könntest du nicht ein gutes Wort für mich einlegen?«
Jamaica schüttelte den Kopf. »Das gehört nicht zu meinem Job. Und wenn ich eins in diesem Gewerbe gelernt habe, dann das: Man soll sich nicht in anderer Leute Probleme einmischen. Dabei fängt man sich bloß eine Kugel ein oder ein Messer im Rücken.«
»Du könntest ihm doch sagen, daß ich den Job hier nicht gut mache«, sagte Joe.
»Das ist zwar richtig«, sagte Jamaica. »Aber ich halte den Mund. Mister B. ist der Boß.«
Joe versuchte es anders. »Du hast ja bloß Angst vor ihm«, sagte er.
»Da kannst du deinen weißen Arsch drauf verwetten«, erwiderte Jamaica entschieden. »Ich bin bloß ein kleines Niggerbaby, das sich in der großen, kalten Welt durchschlagen muß.« Er grinste. »Aber du hast doch nichts zu befürchten. Das Schlimmste, was passieren kann, ist, daß er nein sagt. Dann mußt du halt bleiben. Aber vielleicht sagt er auch ja. Wenn du nicht fragst, erfährst du es nie.«
Joe starrte ihn unsicher an. Plötzlich wurde seine Eitelkeit wach. »Mache ich meine Arbeit hier wirklich so schlecht?«
»Ja«, sagte Jamaica. »Aber du bist ja auch Schriftsteller, kein Zuhälter. Zum Zuhälter muß man geboren sein, das kann man nicht lernen.«
»Zum Schriftsteller muß man auch geboren sein«, sagte Joe gekränkt.
»Das kann schon sein«, sagte Jamaica. »Aber Tatsache ist, daß der Umsatz um zwanzig Prozent gesunken ist, seit du hier den Laden verwaltest. Die Mädchen haben nicht genug Nummern gemacht, sondern gefaulenzt. Du hast auch keine einzige jemals richtig verprügelt. Kein Wunder, daß sie nicht arbeiten. Du mußt dir Respekt verschaffen, das hab ich dir gleich zu Anfang gesagt.«
»Und ich habe dir gleich gesagt, daß ich so was nicht mache«, sagte Joe.
»Stimmt«, sagte Jamaica lässig. »Das ist auch der Grund, weshalb ich mich nicht beschwere.« Mit einem Ruck stand er auf. »Ich mag dich, mein Junge. Deshalb hoffe ich sehr, daß Mister B. dich laufen läßt. Damit wäre allen gedient. Du könntest nach Hollywood gehen, und wir würden sicher richtig verdienen.«
»Vielen Dank«, sagte Joe.
»Du wirst Mister B. also fragen?«
»Ja«, sagte Joe. »Ich muß allerdings erst mit meinem Vater reden. Er hat mich Mister B. vorgestellt.«
***
Joe brauchte fast eine Stunde, um von der U-Bahnstation an der 96. Straße zum Ende der New Lots Line zu kommen. Er ging über die Pitkin Avenue zum Geflügelmarkt seines Vaters. Aber während die Geschäfte auf der Hauptstraße noch hellerleuchtet waren, lag der Geflügelmarkt völlig im Dunkeln. Nur eine einzige Lampe schien durch die geschlossene Tür auf die Straße hinaus. Joe ging zur Einfahrt, um an den Käfigen vorbei zur Hintertür zu gelangen. Der Wagen seines Vaters stand noch auf dem Grundstück. Es war zwar schon nach halb acht, aber Joe wußte, daß sein Vater oft länger blieb, um die Tageseinnahmen zu zählen. Er drehte am Türgriff, aber auch die Hintertür war verschlossen.
Er wollte gerade klopfen, als ein Schrei aus dem Inneren kam. Der Schrei einer zu Tode erschrockenen Frau. Automatisch rammte Joe seine Schulter gegen die Tür, und das wackelige alte Schloß flog mitsamt den Schrauben aus seiner Verankerung.
Er hörte den zweiten Schrei, als er im Türrahmen stand. Die Stimme kam aus dem Büro seines Vaters. Die Tür war unverschlossen und ging sofort auf, als Joe sie berührte. Der Anblick, der sich ihm bot, stoppte ihn auf der Schwelle. Josie lag mit weitaufgerissenen Augen halbnackt auf der Couch und stammelte immer wieder: »Dein Vater! Dein Vater!«
Phil Kronowitz lag mit heruntergelassenen Hosen auf der Kassiererin, deren nackte Schenkel immer noch seine Hüften umklammerten. Ihr Kleid war bis zum Hals hochgeschoben. Joes Vater hatte die Augen geschlossen und keuchte. Sein Gesicht war schmerzlich verzerrt, und er schien heftig nach Atem zu ringen. Ganz langsam glitt sein Körper zu Boden.
Joe griff nach dem Jackett seines Vaters, das ordentlich über dem Schreibtischstuhl hing, und riß hastig die Pillenschachtel heraus, die in der Brusttasche steckte. Er kniete sich auf den Boden und bettete den Kopf seines Vaters auf seinen Schoß. »Holen Sie Wasser!« rief er. »Machen Sie schnell!«
Zitternd griff Josie nach dem Glas Wasser, das immer auf dem Schreibtisch des Geflügelhändlers bereit stand.
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