Hongkong 02 - Noble House Hongkong
brauchte er, um einen klaren Kopf zu bekommen.
Andere Pferde wurden auf dem Sandboden in Bewegung gehalten, kamen auf die Strecke und verließen die Bahn. Gruppen von Eigentümern, Trainern und Jockeys besprachen sich miteinander, ma-foos, Stallburschen, ließen Pferde mit ihren Decken im Schritt gehen. Er sah Butterscotch Lass, Richard Kwangs große Stute, einen Stern auf der Stirn, vorbeikantern. Auf der gegenüberliegenden Seite fiel Pilot Fish, Gornts preisgekrönter Hengst, hinter einem anderen Pferd aus dem Struan-Stall in beherrschten Galopp; das war Impatience, eine neue, junge, noch unerprobte Stute, vor kurzem bei der ersten Auktion der Saison ersteigert. Dunross beobachtete sie kritisch und fand, daß es ihr an Ausdauer mangelte. Warten wir eine Saison oder zwei ab, dann werden wir weitersehen, dachte er. Jetzt sauste Pilot Fish an ihr vorbei, und sie scheute in flüchtigem Erschrecken; aber sogleich setzte sie ihm nach, bis ihr Jockey sie zügelte und lehrte, daß sie zu galoppieren hatte, wenn er es wünschte, und nicht, wenn es ihr in den Sinn kam.
»Also, Tai-Pan«, sagte der Trainer, ein kantiger russischer Emigrant Ende sechzig mit ledernem Gesicht und meliertem Haar; dies war seine dritte Saison bei Struan’s.
»Also, Alexei?«
»Also hat Sie der Teufel geritten, und Sie haben ihm die Fersen gegeben – und haben Sie gesehen, wie Noble Star vorwärtsgestürmt ist?«
»Sie gibt niemals auf. Noble Star gibt nie auf, das wissen wir doch alle«, antwortete Dunross ruhig.
»Ja, aber mir wäre lieber gewesen, wenn sie heute nur Sie und mich daran erinnert hätte und nicht …« – der kleine Mann deutete lachend mit einem schwieligen Daumen auf die Zuschauer – »und nicht jeden viblyadok in Asien.«
Dunross lächelte. »Sie bemerken zuviel.«
»Dafür werde ich bezahlt.«
Alexei Travkin konnte besser und schneller reiten, mehr trinken, arbeiten und durchstehen als einer, der nur halb so alt war wie er. Er war ein Einzelgänger unter den Trainern. Jahrelang hatte er verschiedene Geschichten über seine Vergangenheit erzählt – wie das die meisten Menschen taten, die einst die Stürme der russischen und chinesischen Revolution überlebt hatten und jetzt über die Straßen Asiens zogen und einen Frieden suchten, den sie nie finden konnten.
Im Jahre 1919 war Travkin aus Rußland nach Charbin in der Mandschurei gekommen und hatte sich nach Süden zur internationalen Niederlassung in Schanghai durchgearbeitet. Weil er sehr tüchtig war und mehr von Pferden verstand als die meisten Menschen von sich selbst, wurde er bald Trainer. Beim Exodus von 1949 trieb es ihn wieder nach Süden, diesmal nach Hongkong. Dunross hatte damals keinen Trainer und bot ihm an, für den Stall von Noble House zu arbeiten.
»Ich nehme an, Tai-Pan«, hatte er damals sofort geantwortet.
»Wir haben noch nicht über Geld gesprochen«, hielt Dunross ihm entgegen.
»Sie sind ein Gentleman, und ich bin es. Sie werden mir das beste Gehalt zahlen, um Ihr Gesicht zu wahren – und weil ich der Beste bin.«
»Sind Sie das?«
»Hätten Sie mir sonst die Stellung angetragen? Auch Sie verlieren nicht gern.«
Die letzte Saison war für beide gut gewesen. Die erste nur mäßig. Beide wußten, daß die kommende die Entscheidung bringen werde.
»Und Sonnabend?« fragte Dunross.
»Noble Star wird ihr Bestes geben.«
»Und Butterscotch Lass?«
»Wird ihr Bestes geben. Und Pilot Fish auch. Und das gleiche gilt für die anderen – in allen acht Rennen. Das ist ein ganz besonderes Meeting. Wir müssen bei unseren Nennungen sehr vorsichtig sein.«
Dunross nickte. Sein Auge fiel auf Gornt, der neben den Totokassen stand und sich mit Sir Dunstan Barre unterhielt. »Ich würde mich sehr ärgern, wenn ich gegen Pilot Fish verlöre.«
Alexei lachte. »Dann reiten Sie Noble Star vielleicht am besten selbst, Tai-Pan.
Wenn es bedrohlich wird, können Sie dann Pilot Fish im Oval an die Rails drängen oder seinem Jockey mit der Peitsche eins überziehen.«
Ein mafoo kam auf sie zu, begrüßte Travkin und reichte ihm einen Brief. »Eine Nachricht, Sir. Und Mr. Tschoi läßt Sie bitten, Sie möchten sich doch Chardistans Bindungen ansehen, wenn Sie einen Moment Zeit haben.«
»Ich komme gleich. Sagen Sie ihm, er möge Buccaneer heute und morgen eine Extraportion Kleie ins Futter mischen!« Er warf einen Blick auf Dunross, der Noble Star beobachtete. Er runzelte die Stirn. »Sie denken doch nicht daran, am Sonntag selbst zu
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