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Honigmilch

Honigmilch

Titel: Honigmilch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Mehler
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mich genauso trist wie seine Nachbarn?«, fragte Fanni.
    Sprudel nahm ihre Hand. »Das könnte an der morbiden Stimmung liegen, die hier ringsum herrscht«, antwortete er.
    Fanni nickte. Ihr Blick schweifte ein Stück weiter im Oval, und jetzt erschien das Hotel Kasˇperk bunt bemalt in der Nordgeraden.
    »Hübsch«, sagte Fanni, »und ebenso tot.«
    Da schlug Sprudel vor, zur Burg zu wandern. Fanni stimmte gerne zu, denn dieser freudlose Ort hier setzte ihr zu.
    Sprudel trat vor eine Übersichtstafel, die an der Kastanie neben der Kirche angebracht war, und studierte die Skizze. »Es gibt zwei Rundwanderwege«, verkündete er nach einer Weile. »Der grün markierte führt direkt zur Burg. Der blau markierte verläuft in einem Bogen über die südlichen Hügel, würde uns aber mindestens drei Stunden Zeit kosten.«
    »Macht nichts«, sagte Fanni und setzte sich in Marsch.
    Das blaue Dreieck lotste sie eine Anhöhe hinauf und dort oben an drei kleinen Frühstückspensionen vorbei: Sonja, Panorama, Alena. Dann verlief der Weg ein Stück an einer Pferdekoppel entlang, bis er in den Wald eintauchte. Nach einigem Auf und Ab tauchte die Burg Kasˇperk hinter dem letzten Hügel auf.
    Schon von Weitem erkannten Fanni und Sprudel, dass dieses Gemäuer seine kleinen Brüder und Schwestern in Bergreichenstein an Ungastlichkeit um ein Vielfaches übertraf: dicke Mauern, Schießscharten, wo man Fenster erhoffte. Verfallene Türmchen, ein verbarrikadiertes Tor. Grabesstille.
    Fanni seufzte und wollte sich wieder in den Wald zurückziehen, aber Sprudel deutete auf einen sonnenbeschienenen Felsen keine zwanzig Schritte unterhalb der Burg. Er ging darauf zu, breitete seine Jacke über den Stein und winkte Fanni, die ein wenig unschlüssig an der Wegkreuzung stand. Endlich folgte sie ihm und ließ sich neben ihm nieder.
    Fanni und Sprudel packten ihren Notproviant – Seitenbacher Energieriegel – aus, kauten die Kakaomasse und blickten in die Runde.
    »Das kann nur der Große Arber sein«, sagte Sprudel und deutete nach Westen, wo ein Berggipfel alle anderen überragte. Fanni gab ihm recht. Weiter oben im Norden glaubte Sprudel den Osser ausmachen zu können; und der Berg im Südosten, viel weniger weit entfernt als Arber und Osser, musste laut Wanderkarte Javornic heißen.
    Kurz vor dem Mittagsläuten machten sie sich auf den Rückweg und kamen gegen halb zwei wieder auf dem Kirchplatz an. Sprudel steuerte auf das Co-op-Konzum-Geschäft zu.
    »Wie wär’s mit einem Streifzug durch Bergreichensteins Einkaufszentrum?«, fragte er.
    Fanni wusste nicht recht, was sich Sprudel davon versprach.
    Das Warenangebot im Co-op-Konzum wird mir für heute den Rest geben, dachte sie, wollte jedoch Sprudels Plan nicht durchkreuzen.
    Zwei Minuten später betraten sie den Laden. Fanni hatte es geahnt: verstaubte Regale, Nippes, der in Erlenweiler schon vor Jahren im Müll gelandet war; Damenpullover und Herrenhemden, zu minderwertig für den Altkleidercontainer jenseits der Grenze. Die Spirituosenabteilung zeigte sich mit Krimsekt – viel zu billig, als dass er hätte echt sein können –, Wodka und Marillenlikör gut bestückt.
    Fanni und Sprudel gingen an den Gestellen mit den Süßigkeiten entlang: tschechische Manner-Waffeln, tschechische Prinzenrolle. Um nicht mit leeren Händen vor dem älteren Herrn an der Kasse stehen zu müssen, entschieden sie sich übereinstimmend für eine Packung Karlsbader Oblaten.
    Als Sprudel bezahlen wollte, kam zutage, dass weder er noch Fanni daran gedacht hatten, sich mit tschechischen Kronen zu versorgen.
    Der Mann an der Kasse, der leidlich Deutsch sprach, sagte: »No, macht nix. Sie geben ein Euro achtzig.«
    Sprudel kramte eine Weile in seinem Portemonnaie herum und musste dann gestehen, dass sich die Summe seines Kleingeldes auf einen Euro zehn belief. Einen Fünfzigeuroschein könne der Herr wohl nicht …?
    Der schüttelte den Kopf.
    Fanni hatte bereits ihre eigene Börse gezückt, um nach Kleingeld zu fahnden. »… fünfzig, sechzig …« Sie konnte fühlen, dass sich in einer Falte des Leders noch eine Münze verklemmt hatte, und bohrte den Finger hinein, um sie zu lockern. Dabei fiel ihr die Börse aus der Hand, Geldscheine und Ausweise flatterten auf den Tresen.
    Als sie endlich bezahlt hatten, sagte Sprudel: »Hier in Bergreichenstein soll es einen Bäcker geben, der die besten Dalken von ganz Böhmen macht. Kennen Sie ihn?«
    Der Mann an der Kasse zuckte die Schultern. »Größte Bäckerei von

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