Hornblower 07 - Unter wehender Flagge
Bergen verstecken. Ihre Zahl hat sich letzthin stark vermehrt. Nun, ich erkannte aber schnell, daß keine Bande, die üble Absichten hegt, ihre Gegenwart durch Geschrei verraten würde. So, Herr Kapitän, hier ist Ihr Zimmer. Ich hoffe, daß Sie alles finden werden, was Sie benötigen. Übrigens passen Ihnen die Sachen, die Sie tragen, ganz leidlich. Vielleicht möchten Sie sie morgen wieder anziehen, wie? Und nun wünsche ich Ihnen geruhsame Nacht. Hoffentlich schlafen Sie gut.«
Das Bett war köstlich warm, als Hornblower zwischen die Decken schlüpfte und die Vorhänge zuzog. Seine Gedanken waren in angenehmer Weise verwirrt. Beunruhigende Erinnerungen an die Katastrophe an der Flussbarre und an den daran anschließenden Todeskampf im eisigen Wasser wurden überschattet von dem Bild des eindrucksvollen gestreckten Gesichts des Grafen und dem Anblick des geknebelten und in den eigenen Mantel geschnürten Obersten Caillard, den man wie ein Bündel in die Kutsche geworfen hatte. Hornblower schlief nicht sonderlich gut, aber er konnte anderen Tags auch nicht behaupten, schlecht geschlafen zu haben.
8. Kapitel
Am nächsten Morgen brachte Felix ein Tablett mit Frühstück herein und zog die Vorhänge zur Seite, indessen Hornblower noch mit seiner Schlaftrunkenheit kämpfte. Dann erschien Brown, und während der Hofmeister das Tablett auf dem Nachttisch zurecht« rückte, widmete er sich der Aufgabe, die Kleider zusammenzusuchen, die der Kapitän achtlos umhergestreut hatte, als er sich nach Mitternacht zur Ruhe begeben hatte. Dabei gab er sich die größte Mühe, das unauffällig respektvolle Benehmen eines herrschaftlichen Dieners zur Schau zu tragen. Hornblower schlürfte genießerisch den dampfenden Kaffee und biss in das weiße Brot. Derweil besann sich der Bootsmann auf eine andere Pflicht und zog die Fenstervorhänge zurück.
»Sturm hat über Nacht ziemlich abgeflaut, Sir«, meldete er.
»Ich denke, der Wind dreht auf Süd, und wahrscheinlich gibt es Tauwetter.«
Durch die tief herunter reichenden Fenster fiel Hornblowers Blick auf eine weite, weißschimmernde Landschaft, die steil zum Ufer abfiel. Im Gegensatz zu ihr sah die Loire schwarz aus, als hätte jemand mit Kohle einen breiten Strich über weißes Papier gezogen. Bäume standen düster und kahl vor dem Hintergrund, da der Sturm den Schnee von ihren Ästen gefegt hatte. Drunten am Flussufer wurden die Stämme mancher Weiden von hellem Gischt umquirlt. Hornblower glaubte das Rauschen des Wassers zu hören, und jedenfalls drang deutlich das Dröhnen des Überfalls an sein Ohr, dessen schäumender Strudel gerade noch über den Uferrand hinweg sichtbar war.
Weiter flussabwärts ragten die schneebedeckten Dächer einiger kleiner Häuser empor.
»Ich bin schon bei Mr. Bush gewesen, Sir«, berichtete Brown weiterhin. Hornblower empfand ein wenig Schuldbewusstsein, weil er sich zu sehr für den Anblick der Landschaft interessiert und darüber seinen Ersten Offizier vergessen hatte. »Es geht ihm gut, und er schickt Ihnen seine besten Empfehlungen. Wenn ich Sie bedient habe, Sir, werde ich ihm beim Rasieren helfen.«
»Schön«, sagte Hornblower.
Er fühlte sich köstlich matt. Er wollte recht faul sein. Die Gegenwart erschien ihm als Übergang von den Strapazen und Gefahren des gestrigen zu den unbekannten Aufgaben des heutigen Tages, und diese Zeitspanne hätte er gern bis in die Unendlichkeit ausgedehnt. Die Zeit sollte stillestehen und damit die Verfolger, die ihn jenseits des Städtchens Revers suchten, durch einen Zauber erstarren, derweil er hier lag und ausruhte; frei von Gefahren und ledig aller Verantwortlichkeit. Der soeben genossene Kaffee verstärkte noch sein Wohlbehagen, ohne ihn zur Tätigkeit anzuregen. Unmerklich und genießerisch versank er in einen unklaren Wachtraum. Abscheulich war es von Brown, daß er ihn durch das respektvolle Fußscharren wieder in die Gegenwart zurückrief.
»Schön«, sagte Hornblower und fügte sich resigniert in das Unabänderliche. Er streifte die Decken zurück und stand auf.
Sofort umgab ihn wieder die harte Welt der Tatsachen, und der Tagtraum verblasste wie die Wolkenfarben eines tropischen Sonnenaufgangs. Während er sich rasierte und in dem lächerlich kleinen, in der einen Zimmerecke stehenden Becken wusch, erwog er beklommen die Möglichkeiten einer in Französisch geführten längeren Unterhaltung mit seinen Gastgebern.
Widerwillen hegte er gegen die damit verbundene Anstrengung, und heimlich
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