Hornjäger (German Edition)
bei Sonnenaufgang lange davorgestanden und sich jedes Detail ihrer Heimat eingeprägt. Sie wusste nicht, wann sie zurückkehren würde oder ob sie ihr Land je wiedersehen durfte. Sie hatte dieses Bild Strich für Strich in ihr Herz gemalt. Unwillkürlich fuhr sie mit der Hand über Pollias Kette, die noch immer um ihren Hals hing. Die Glätte des blauen Steines hatte etwas Beruhigendes, sie hatte etwas von Heimat. Etwas, das sie mit sich nehmen konnte, wohin auch immer ihre Reise sie führen mochte. Helwyr trug sein Schwert jetzt dauerhaft am Gürtel, er hatte sich heute Morgen auch sein Messer in den Stiefelschaft gesteckt, es ihr gegenüber aber mit keinem Wort erwähnt.
Ihr Weg führte sie zwischen abschüssigen Felswänden hindurch stetig bergab. Manchmal konnte man einen Blick auf die Landschaft darunter erhaschen, aber außer Wald entdeckte Euphena nichts von Interesse. Nachdem sie die steilsten Stücke hinter sich gelassen hatten und der Weg mehr Platz bot, schloss sie zu Helwyr auf.
»Reitet Ihr oft über Berge?« Sie war ehrlich interessiert.
»Oft würde ich es nicht nennen, aber hier und da ist mir auf meinen Reisen schon ein Berg untergekommen.«
»Auch so groß wie der hier?«
Helwyr lachte. »So groß ist der gar nicht, Püppchen. Einmal musste ich in ein Gebirge, das rund dreimal so hoch war, und kein Gras für die Pferde hatte!«
Euphena staunte. »Wieso musstet Ihr denn auf so einen hohen Berg?«
»Nun, ich wollte den Kopf des obersten Bergrebellen für den eines Freundes eintauschen ... Ich denke nicht gerne an die Zeit zurück. Dunkle Stunden, voll der Zwietracht und des Zorns.« Er seufzte und ließ den Blick in die Ferne gleiten.
»Oh«, machte Euphena. »Habt Ihr es denn ...«
»Verzeiht, wenn ich unterbreche, Püppchen, aber seht Ihr das?«
Sie blickte nach vorne zwischen die Bäume. Der Weg war inzwischen wieder wesentlich flacher geworden und mündete in ...
»Eine Straße!«
»Ganz genau, Fräulein!« Helwyr lenkte Hestus auf den gestampften Waldweg, der zwischen den Bäumen verschwand. »Wisst Ihr auch, was das bedeutet?«
»Wir kommen schneller voran?« Euphena musste raten, über die Bedeutung von Straßen, hatte sie sich bis vor kurzem noch keine großen Gedanken gemacht.
»Auch. Aber vor allem muss diese Straße irgendjemand erbaut haben! Selbst wenn sie so wirkt, als würde sie höchst spärlich genutzt werden, sie wird benutzt!«
»Ihr meint, hier leben Menschen? Gleich hinter den Bergen?« Sie staunte.
»Ob es Menschen sind, weiß ich nicht. Aber ich vermute, wir werden es früher oder später herausfinden!«
Euphena fühlte sich verunsichert. Sie hoffte definitiv auf Menschen! Zögernd trieb sie Antha an und folgte Helwyr auf den breiten Waldweg.
Am frühen Nachmittag ritten sie immer noch dieselbe Straße entlang. Euphenas Magen knurrte wie verrückt. Ihre letzte Mahlzeit war schon einige Zeit her gewesen, und überall, wohin auch immer sie blickte, standen Bäume dicht an dicht, umgeben von einem urwaldähnlichen Dickicht.
Dass der Weg nicht oft benutzt wurde, konnte man leicht an den Rändern erkennen. Stück um Stück eroberte die Natur zurück, was ihr gewaltsam entrissen worden war. Dicke Wurzeln querten den gestampften Erdboden und die Äste hingen teilweise so tief, dass sie sich dicht über die Pferdehälse beugen mussten, um sich nicht in dem Blättergewirr zu verfangen.
Ihre Umgebung wirkte alt. Nicht so, wie der verwachsene Teich im Schlossgarten, in dem es Fische gab, die älter als der König selbst waren. Nein! Es wirkte alles vergessener ... so als wäre die Zeit stehengeblieben und hätte sich bis heute nicht weitergedreht.
Nur wenige Strahlen des hellen Sonnenlichtes vermochten es, die grüne Barriere zu durchbrechen, sodass ein bizarr marmoriertes Muster den Weg wie ein verschütteter Wassereimer auf den Palastböden wirken ließ. Wehmütig dachte sie an all die Sänger und Dichter, die besonders an lauschigen Sommerabenden bei Hofe für Kurzweil sorgten. Ein wenig Unterhaltung hätten sie hier schon brauchen können. Nur Helwyr summte hin und wieder Lieder vor sich hin, die sie nicht kannte. Sie schienen von Zeit zu Zeit seine Gedanken zu durchbrechen und versanken, dann genauso schnell wieder darin, wie sie gekommen waren.
Euphena seufzte. Wenn sie nicht gefressen wurde, oder vor Kälte oder Hunger starb, würde ihr vermutlich der Wahnsinn dieses endlosen Waldes den Verstand rauben. Sie schnalzte missbilligend mit der Zunge. Bei Hofe gab
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