Hornjäger (German Edition)
was ihn so erstaunte. Vor ihnen stand auf einmal eine Ruine mitten im Wald. Dunkelgraue, fast schwarze Felsblöcke waren beinahe fugenlos zu einem turmartigen Gebäude aufeinandergeschichtet worden. An den Fensterstürzen und Türrahmen hatte man, in liebevoller Kleinarbeit, Blätter und Tierfiguren heraus gemeißelt. Euphena blieb der Mund offen stehen. So etwas hatte sie noch nie gesehen!
Inmitten dieser Wildnis wirkte diese hingebungsvolle Detailarbeit fast wie ein Scherz. Die Hälfte des Gebäudekomplexes war verwittert und infolgedessen in sich zusammengefallen. Einzelne Mauerteile ragten wie steinerne Bäume aus dem Waldboden und ließ dieses Herrenhaus seltsam natürlich wirken. Es war alles vorhanden: das Haupthaus, Stallungen, ein Aussichtspunkt, Nebengebäude und die Reste einer schmalen Einfriedung.
Euphena fröstelte ein wenig. Nebel hatte sich über den Wald gelegt. Langsam begann es zu dämmern und sie hatte immer noch nichts zwischen die Zähne bekommen. Sie betrachtete die Ruine und ließ ihren Blick über die Fassade schweifen. Eine gutgefüllte Speisekammer durfte sie hier wohl nicht erwarten.
Plötzlich regte sich ein schwarzer Schatten hinter der Einfriedungsmauer. Euphena fuhr zusammen. Was war das? Sie schüttelte den Kopf und sah genauer hin. Sie konnte nichts Ungewöhnliches erkennen, die Steine lagen still und stumm, wie sie schon seit Jahrhunderten liegen mochten.
Sie zuckte die Achseln. Anscheinend spielte ihr hungerndes Hirn ihr bereits Streiche. Sie suchte die Ruine erneut mit ihren Augen ab. Doch nichts regte sich.
»Wunderbar! Unser Quartier für die Nacht!« Pfeifend schritt Helwyr auf das zerfallene Gemäuer zu.
»Helwyr, nicht!« Euphena konnte nicht sagen, was es war, aber ein gutes Gefühl hatte sie bei der Sache ganz und gar nicht!
»Was denn Püppchen? Habt Ihr etwa Angst vor einer Ruine?« Er drehte sich zu ihr um. »Kommt schon! Wer soll hier draußen denn schon wohnen? So ganz allein im Wald kann doch kein Mensch überleben!«
»Aber ...«
»Nichts aber, wenn wir Glück haben funktioniert der Kamin noch, dann können wir heute Nacht sogar ein Feuerchen machen. Na was haltet Ihr davon?« Helwyr winkte sie zu sich.
Zögernd folgte sie ihm. Antha hatte die Ohren angelegt und starrte das Gebäude feindselig an.
»Hört Ihr das?« Sie flüsterte beinahe.
»Was?«
»Die Stille. Kein Rauschen der Blätter. Vögel hört man auch nicht.«
Helwyr lauschte. »Ihr habt recht!« Er drehte sich im Kreis. »Na da haben wir wohl einen äußerst geräuschlosen Tag erwischt! Und jetzt macht schon Euphena! Sonst stehen wir noch hier draußen, wenn es längst dunkel ist!«
Sie seufzte. Vermutlich machte sie sich wirklich zu viele Gedanken. Helwyr hatte recht: Wie sollte ein Mensch hier auf Dauer überleben?
Das Tor ächzte in den Angeln, als Euphena es aufdrückte. Hinter dem Haupttor lag ein Innenhof. Verfallen und von den Pflanzen fast zur Gänze zurückerobert. Es war ein schönes Haus, den Hof umlief ein einfacher Säulengang, der in die Wirtschaftsräume führen musste.
Vorsichtig sah Euphena zur Seite, sie fühlte sich beobachtet. Sie legte den Kopf in den Nacken und besah sich die Fenster im ersten Stock, die wie leere Augen in die Dämmerung starrten. Rein theoretisch konnte hier hinter jeder Ecke und jedem Stein etwas lauern, aber dazu wirkte dieser Ort zu verlassen. Zu aufgegeben. Euphena grub ihre Stiefel in das Laub, das sich über die Jahre im Innenhof angesammelt hatte und watete zur anderen Seite. Obwohl sie sich dabei wunderbar an ihre Kindheit erinnert fühlte, wollte das mulmige Gefühl in ihrer Magengegend einfach keine Ruhe geben!
Am gegenüberliegenden Ende des Hofes lag eine reich verzierte Tür. Sie musste in den Hauptraum führen.
»Ganz schön kalt, das alles, hm?« Helwyr nahm Hestus den Sattel und sein Reisegepäck ab.
»Ein seltsamer Ort.« Euphena lehnte sich gegen den Türstock. »Nach Euch!« Mit einer eleganten Handbewegung wies sie auf die Tür.
Wenn es hier Bewohner gab, durfte er sich ruhig für sie opfern und sich in dem düsteren Raum den Kopf abschlagen lassen. Immerhin war es seine Idee gewesen!
Helwyr grinste sie an und drückte rückwärts die Tür auf. Er schnalzte kurz mit der Zunge und verschwand dann in der Dunkelheit.
Vorsichtig fuhr Euphena mit den Fingern über die Stuckarbeiten in den Seitennischen der Tür. Wer auch immer, diesen Palast einst erbaut hatte, musste einen ausgeprägten Sinn für Ästhetik gehabt haben! Wie
Weitere Kostenlose Bücher