Hornjäger (German Edition)
Teppich erzählte in mehreren Bildern die Geschichte von zwei Liebenden! Dem stattlichen Aigiden mit dem Spieß und einer holden Jungfer, die sich von ihm in das Gebüsch hatte locken lassen. Ob es sich hierbei tatsächlich um eine Liebesgeschichte, oder doch um eine romantisierte Vergewaltigung handelte, vermochte man aus dem Gesichtsausdruck des Mädchens nicht zu erkennen. Aber da das Schlussbild beide inniglich umschlungen unter einem Wasserfall zeigte, war Euphena durchaus gewillt Ersteres anzunehmen.
Sie war fasziniert. Noch nie hatte sie etwas gesehen, das so heiter wirkte wie dieser Wandteppich, ein einziges Sommerfest der Farben und Sinne und doch war eines dieser Monster darauf abgebildet. Der dichte schwarze Bart des Gehörnten stach deutlich hervor, genauso wie seine heimtückisch verzogenen Augenbrauen. Dass der Künstler diesem Wesen mit gemischten Gefühlen gegenüberstand, war unverkennbar. Dennoch konnte man dem Bild einen gewissen Zauber nicht absprechen.
»Hübsch«, meinte Helwyr trocken. »Würde ich mir vielleicht sogar ins Wohnzimmer hängen.«
»Ich glaube, mein lieber Helwyr, das würde doch etwas auffallen, wenn du den mitgehen lassen würdest.« Euphena kicherte leise.
Eine Antwort darauf blieb er ihr schuldig und hob stattdessen nur eine Augenbraue.
Euphena zog ihn weiter Richtung Archiv und blieb dann plötzlich stehen. Irgendetwas hatte sie stutzen lassen. Vorsichtig blickte sie nach rechts.
»Was ist denn nun schon wieder?«
Euphena deutete auf ein Gemälde.
»Oh«, machte Helwyr. Vor ihnen bleckte ein Aigidenkrieger seine Zähne und starrte in Kampfespose von der Wand. »Da scheint jemand einen erlesenen Kunstgeschmack zu haben!«
»Sieh doch nur, da vorne wieder!«
Kunstwerk reihte sich an Kunstwerk. Und alle hatten dasselbe Thema.
»Das ist wirklich höchst erstaunlich!« Euphena folgte fasziniert ihrer Spur aus Brotkrümeln. Bild reihte sich an Bild. Statue an Teppich und umgekehrt.
»Euphena warte!« Helwyr folgte ihr mit großen Schritten.
Plötzlich endete die Wanddekoration und Euphena stand vor einer verschlossenen Tür mit schwerem Eisengriff.
»Was hast du vor? Euphena, du wirst doch nicht ...!«
Auf einmal war ihr alles klar. Die Bilder waren Wegweiser! Sie war ihnen gefolgt und stand nun vor einer Tür. Deutlicher konnte man Hinweise gar nicht legen!
»Euphena, nein!« Helwyr drehte sie zu sich um. »Wir wollten in das Archiv, nach Informationen suchen. Kriegstagebücher, besondere Vorkommnisse und so weiter. Davon, dass wir verbotenerweise durch irgendwelche Türen schlüpfen, die mit am Ende eines Ganges ohne jegliche Fluchtmöglichkeit liegen, war nie die Rede!«
»Schschhh!«, machte Euphena leise. »Willst du, dass die Wachen uns hören?«
»Euphena, das ist keine gute Idee! Ich sage dir, lass das!«
»Aber Helwyr überleg doch mal! Der Korridor ist gepflastert mit den Wesen, die wir suchen und alles mündet in dieser einen Tür! Ich muss da einfach reinschauen!«
Helwyr biss sich auf die Zähne. Euphena wusste, dass ihm klar war, dass sie recht hatte, aber sie ließ ihm dennoch Zeit, alle Möglichkeiten abzuwägen. Sie selbst hatte ihren Entschluss längst gefasst!
Ein Augenblick verstrich, dann schnaubte Helwyr entnervt. »Von mir aus«, flüsterte er, »aber wir müssen uns beeilen. Es kann jederzeit jemand vorbeikommen, um was weiß ich hier zu tun, also schnell!«
Euphena lächelte erleichtert und drückte die schwere Klinke hinter sich mit einem Ruck hinunter.
V ortrefflicher Schuss, Majestät!« Der Waffenmeister neben Fengus klatschte begeistert in die Hände.
Fengus schnaubte. Was für ein Narr! Er hatte kaum den zweiten Ring getroffen. Als Kadett bei der Palastwache wurde man für solch einen Fehler verprügelt und ohne Abendessen zu Bett geschickt. Er ließ den Bogen sinken. Bei ihm war das anders. Er war König. Wenn er wollte, konnte er einem Schwein seine Rüstung anziehen und die wöchentlich vorgeschriebenen Übungen machen lassen, und trotzdem würde der Hofstaat jubeln.
»Ich danke Euch, Waffenmeister.« Er neigte nonchalant den Kopf in Richtung des Fettwanstes. Er hatte Bogenschießen schon immer gehasst. Vermutlich hatte er es deshalb in dieser Disziplin nie zur Perfektion gebracht.
Fengus seufzte und streckte die rechte Hand aus. Sofort legte ihm einer der beiden Lakaien hinter ihm einen Pfeil hinein. Er schmunzelte. Willenlose Schwanzwedler und Speichellecker! Aber was sollte es ... Etikette war nun einmal Etikette.
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