Hornjäger (German Edition)
Jyrsin und Nagda in die Mühle zurückkehren konnte er frühestens am nächsten Morgen, wenn die Tore geöffnet wurden. Außerdem wollte er Euphena nicht zurücklassen! Helwyr schauderte bei dem Gedanken, welche Ängste sie wohl gerade durchstehen musste ... wo Euphena Schmutz doch nicht leiden konnte! Nein, er musste so oder so hierbleiben.
Gedankenverloren rieb er sich über seine Narbe. Sie ziepte schon wieder. Er würde sich jetzt irgendein Plätzchen zum Schlafen suchen - denn den hatte er inzwischen mehr als nötig - und morgen dann einen genialen Plan zur Errettung Euphenas aushecken! Helwyr gähnte gedehnt und wollte sich ein Eckchen finden, in dem er möglichst nicht ausgeraubt, verkauft oder gar Schlimmeres wurde.
Bevor er sich noch in Bewegung setzen konnte, wurde er an einer Schulter grob zurückgerissen und starrte in die vor Hass verengten Augen des Wachhauptmanns.
»Da bist du ja Bursche!«
Der Schnurrbart stand auf der anderen Seite des Zauns, von der er sich offensichtlich von hinten an Helwyr herangeschlichen hatte, und hielt ihn am Hemd fest.
»Diesmal entkommst du mir nicht!«, schrie er los und spuckte Helwyr bei jedem Wort an. Angewidert verzog er das Gesicht und verfluchte seine eigene Unaufmerksamkeit. Wieso hatte er nicht aufgepasst?
»Du elendes Stück Dreck unter meinen Stiefelsohlen, ich werfe dich in den tiefsten Kerker zu deiner diebischen Hure!« Die Stimme des Hauptmanns überschlug sich vor Zorn.
Helwyr seufzte. Nicht schon wieder! Er hätte sich die literarischen Ergüsse des Hauptmanns ja liebend gern noch weiter angehört, aber von der rechten Seite hörte er Rufe und Soldatenstiefel näherkommen. Die Verstärkung! Also links über den Platz!
Wortlos drehte sich Helwyr aus dem Griff des Hauptmanns heraus und gab ihm einen einfachen kleinen, simplen Schubs gegen die Stirn. Der verdutzte Hauptmann machte reflexartig einen Schritt nach hinten, um sein Gleichgewicht wiederzufinden, stieß dabei aber gegen die Beeteinfassung, die Helwyr zuvor entlanggekrochen war, und verlor endgültig die Kontrolle über seine Beine. Helwyr wartete noch einen kurzen Moment auf den dumpfen Aufschlag, der von einer zu kurz gewachsenen Zierrosenhecke gedämpft wurde. Als sich der Hauptmann wild schnaubend wieder aufgerichtet hatte, war Helwyr bereits fort.
E uphena erwachte von einem leichten Kribbeln auf ihrer Nase. Reflexartig schlug sie nach dem störenden Etwas und kippte dabei seitlich von der Pritsche. Der schmerzhafte Aufprall auf den Steinfliesen ließ sie schlagartig munter werden.
Ein wenig verdattert sah sie sich in der schmalen Zelle um. Also doch kein Traum! Euphena seufzte und scheuchte die Spinne zur Seite, die es sich auf ihrer Nase gemütlich gemacht hatte und nun in ihrer Ruhe gestört worden war. Sie rappelte sich hoch und klopfte halbherzig ein wenig Stroh von ihrem geborgten Leinenkleid. Vorsichtig stieg sie auf die Pritsche, stellte sich auf Zehenspitzen und hielt sich an den Eisenstäben fest, die ihr den Weg zur Freiheit versperrten. Sie versuchte, an ihnen zu rütteln. Nichts. Die Stäbe bewegten sich keinen Millimeter und saßen fest wie ein Floh in einem Hundeohr. War ja klar!
Euphena verzog das Gesicht, bis sich ihre Augen an das gleißende Sonnenlicht gewöhnt hatten. Tief unter ihr wuselten bunte Menschenmassen wie Ameisen durch die Stadt. Viel konnte sie nicht erkennen, dafür war das Fenster zu hoch, aber auch dieser kleine Ausblick auf die Leben der Menschen, tröstete sie irgendwie ein bisschen. Sonst passierte hier nichts Spannendes, nur hier und da zog eine Schwalbe am Fenster vorbei und segelte in halsbrecherischen Manövern an den Türmen der Residenz vorbei, auf der Jagd nach Insekten und vermutlich auch einfach aus Freude an der Freiheit. Euphena seufzte. Zumindest würde sie das so machen, wenn sie eine Schwalbe wäre. Gefl hatte recht ... Sie eine Schwalbe und er ein Sperber. Sie kicherte leise. Wie passend das war!
Gefelerius! Sie durchfuhr es wie ein Blitz! Es war Tag, jetzt konnte er sein Gesicht nicht länger verstecken! Euphena drehte sich blitzschnell um.
Ihr Zellengenosse lag zusammengerollt wie ein Straßenköter in seiner Ecke und schnarchte leise vor sich hin. Die mit Lumpen umwickelten Beine kannte sie ja bereits. Ansonsten trug er ein grünes Leinenhemd mit abgerissenen Ärmeln und braune Beinlinge. Alles, was sie sonst noch erkennen konnte, waren halblange schwarze Haare, die vermutlich wunderbar in der Sonne glänzen konnten, wenn man
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