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Hühnerbus und Stoppelhopser (German Edition)

Hühnerbus und Stoppelhopser (German Edition)

Titel: Hühnerbus und Stoppelhopser (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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Tinchen gefiel es, und Tobias war sogar der Ansicht, mit etwas mehr Power und einem fetzigen Rhythmus könnte das eine ganz heiße Scheibe werden. »Die Melodie is ’n Ohrwurm.«
    Als der vorbei war, kam etwas Getragenes. Die beiden jüngsten Kirchenchormitglieder, offenbar nur zu diesem Zweck mitgekommen, denn sie hatten nicht ein einziges Mal den Mund aufgemacht, wurden losgeschickt. Mit zwei von Oberkellner Moses bereitgestellten Suppentellern zogen sie von Tisch zu Tisch. Das unüberhörbare Klingen der Münzen animierte die Sänger zu einem Dakapo. Leise summte Tinchen mit.
    Florian kramte bereits in seiner Hosentasche. Trotz des bargeldlosen Zahlungsverkehrs hatte er immer einige Münzen bei sich, denn es verging kaum ein Tag, an dem nicht irgend jemand für irgendeinen guten Zweck sammelte. Gelegentlich sogar für den eigenen. So hatte ihn kürzlich unten am Strand ein Halbwüchsiger angesprochen, einen eindrucksvollen Zettel mit vielen Stempeln vorgewiesen und behauptet, er werde demnächst in Nairobi studieren, weil er ein Stipendium bekommen habe, nur sei leider das Fahrgeld nicht inbegriffen. Ob der Mister nicht einen Zuschuß geben könnte? Der Mister hatte keinen Grund dafür gesehen und lieber der weißgekleideten Dame eine Spende gegönnt. Zuerst hatte er sie mit einer Krankenschwester verwechselt, die für Impfstoffe oder Zahnprothesen sammelte, bis sie ihm ein amtliches Papier präsentierte, das sie als Leiterin des städtischen Waisenhauses auswies. Da hatte er die Münzen stekkenlassen und einen Schein in die Büchse gestopft. Geopfert hatte er auch schon für die Leprakolonie, für die bedrohten Elefanten, für neue Wasserleitungen und für das SOS-Kinderdorf. Nur bei dem redseligen Herrn von den katholischen Missionaren hatte er NEIN gesagt und ihm empfohlen, sich doch diesbezüglich nach Rom zu wenden. Wenn der Papst bei seiner nächsten Weltreise einen Linienflug in der Touristenklasse buchen würde, bliebe mehr Geld übrig, als die Mission jemals sammeln könne.
    Die Fumbinis – sie waren es tatsächlich, denn die kleine Sammlerin trug Weinrot, während der andere Chor immer dunkelblau gewandet war – zogen wieder ab, dafür kamen die Beach-Boys. Deren Bleiben war allerdings nur von kurzer Dauer. Ohne Strom keine Musik. Ohne Musik kein Tanz.
    »Das waren noch Zeiten, als man Musik mit Instrumenten machte und nicht mit Elektronik«, sagte Frau Antonie seufzend. Richtig sehnsüchtig klang es, als sie weitererzählte: »Während unserer Verlobungszeit bin ich mit Ernst des öfteren zum Tanztee ins Café Hemesath gegangen. Da spielte eine Sechs-Mann-Kapelle, man zog sich entsprechend an, und dann genoß man diese gepflegte, kultivierte Atmosphäre. Ganz billig ist dieses Vergnügen allerdings nicht gewesen. Kaffee gab es nur kännchenweise, und ein Stück Torte kostete eine Mark zwanzig.«
    »Dafür kriegste heute nicht mal ’n Streuselkuchen, Oma. Und Live-Bands sind unbezahlbar.«
    »Was habe ich unter einer Live-Band zu verstehen, Tobias?«
    »Zu deiner Zeit hieß das ja wohl Kapelle, also Originalsound und keine Konserve. Die Zeiten von Teddy Stauffer und wie diese Herren mit Bügelfalte alle hießen sind vorbei.«
    »Ach ja, den habe ich auch noch gehört. In den fünfziger Jahren hat er ein Gastspiel gegeben. Ich kann mich nicht mehr erinnern, wo das gewesen ist, aber wir mußten mit der Bahn hinfahren.«
    »Was machen wir denn jetzt mit dem angebrochenen Abend?« fragte Florian. Wenn seine Schwiegermutter in Reminiszenzen verfiel, fand sie nie ein Ende. Die meisten Geschichten kannte er sowieso schon, interessant war keine, er hatte das dringende Bedürfnis, die Tafelrunde aufzuheben. Doch wohin mit Toni? Frau Schliephan war indisponiert und hatte sich gleich nach dem Tee zurückgezogen, Herr Dr. Meierling spielte Schach mit Kasulke, ein Spiel, das Frau Antonie zu ihrem Bedauern nie gelernt hatte, und von Familie Kurz war auch nichts zu sehen. Es gab niemanden, dem Florian seine Schwiegermutter hätte aufhalsen können. Oder vielleicht doch? Hatte sie sich nicht für dieses neuangekommene Ehepaar vom Nebentisch interessiert, Prander oder Pracker oder so ähnlich hieß es, schienen ganz vernünftige Leute zu sein. Von Birgits vernichtendem Urteil wußte Florian nichts, er hatte lediglich Frau Prander oder Pracker mit Stricknadeln gesehen und daraus sowie aus ihren grauen Haaren den Schluß gezogen, daß sie sowohl altersmäßig als auch in bezug auf Hobbys zu Frau Antonie passen

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