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Huete dich vor deinem Naechsten

Titel: Huete dich vor deinem Naechsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Unger
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stark wie die des Kinnbarts. Er hatte dunkle Schatten unter den Augen und sah insgesamt sehr bleich und erschöpft aus. Kaum achtundvierzig Stunden zuvor hatte er noch mit seiner Frau in seinem gemütlichen Apartment geschlafen. Er hatte eine erfolgreiche Firma besessen. Weil er Fehler begangen und sich auf Verräter eingelassen hatte, war alles verloren. Er würde sich in das zurückverwandeln, was er vor Isabel gewesen war: ein Nichts. Er konnte sich kaum über den großen Reichtum freuen, den er während der Zeit mit ihr erworben hatte - teils erarbeitet, teils gestohlen. Es befriedigte ihn nicht so, wie er es sich erhoffte hatte. Tatsächlich hatte er sich noch nie im Leben so leer und niedergeschlagen gefühlt.
    Sara rief seinen Namen, und er hasste sie. Er gab ihr keine Schuld. Ohne sie wäre er jetzt tot. Ohne ihre Hilfe hätte er die letzten achtundvierzig Stunden niemals überlebt. Alles, wofür er gearbeitet hatte, wäre verloren gewesen. Trotzdem hasste er sie für alles, was sie verkörperte.
    Sie kannten sich seit ihrer Kindheit. Während seiner trostlosen Jugend war ihr Körper der erste fremde gewesen, den er erkundet und der ihm Trost gespendet hatte. Aber das Leben hatte sie unterschiedlich behandelt, und ihre Wege trennten sich. Er war immer bestrebt, seiner Heimat zu entkommen und etwas aus seinem Leben zu machen. Sie hingegen hatte sich in ihr Schicksal gefügt, so wie Ivan.
    Er wusste gar nicht, wovon sie jetzt lebte. Sie sprach nicht viel über das Leben, das sie nach seinem Weggang in der Tschechoslowakei geführt hatte. Er wusste nur, dass sie sich sehr verändert hatte. Die Verletzlichkeit von früher war einer rohen Kraft gewichen - auf sexuellem wie auf allen anderen Gebieten. Er hatte ihre unterschiedlichen Fähigkeiten gebraucht, und sie hatte ihm geholfen, ohne etwas zurückzuverlangen außer ein bisschen Zuneigung. Ausgerechnet das, was er ihr nicht geben konnte.
    Sie stieß die Badezimmertür auf.
    »Es muss nicht sein«, sagte sie und umarmte ihn von hinten. »Ich kann mich um Camilla kümmern.«
    »Nein. Das ist meine Aufgabe.«
    Er sah sie nicht an und erwiderte auch ihre Umarmung nicht. Nach einer Weile ließ sie die Arme sinken und verließ das Bad.
    »Wenn es um Frauen geht, bist du ein Schwächling«, sagte sie und zog die Tür hinter sich zu.
    Sie hatte recht. Wenn er an Camilla dachte, an ihre tränenreiche Beichte, fühlte er nicht die Wut, die er eigentlich hätte fühlen sollen. Er wusste, was zu tun war, aber er hatte keine Lust, es zu tun.
    Jetzt wartete sie auf ihn und hoffte, er würde seine jahrealten Versprechungen endlich einlösen. Sie hatte sich geirrt.
    Als er aus dem Bad kam, sah er, dass Sara sich wieder ins Bett gelegt hatte. Sie starrte ihn im Halbdunkel an. Das T-Shirt war ihr bis knapp unter die Brüste hochgerutscht. Er spürte, wie ihm das Blut in die Lenden schoss, wie ihr Körper den seinen magisch anzog. Sie lächelte nicht; sie lächelte fast nie. Aber sie zog ihn an sich, schlang ihre langen Beine um seine Taille. Ihre Küsse schmeckten salzig und gierig. Nicht süß und nachgiebig wie die von Isabel. Dann drang er in sie ein, schnell und hart. Während er auf ihr lag, beobachtete er ihr Gesicht. Er wartete auf jene Verletzlichkeit, die sich zeigte, wenn sie sich gehen ließ. Aber er konnte sie nicht entdecken.
     
    Linda versuchte, Isabel anzurufen, zuerst im Apartment und dann auf dem Handy. Beide Anrufe wurden zum Anrufbeantworter umgeleitet, aber Linda machte sich nicht die Mühe, eine Nachricht zu hinterlassen. Sie wusste, ihre Schwester wollte keinen Kontakt; Izzy würde sich melden, wenn sie so weit war, und keine Minute früher. Also saß Linda mit dem Telefon in der Hand da und überlegte, ihre Mutter anzurufen, auch wenn Izzy ihr das strikt verboten hatte. Erst wenn wir genau wissen, was passiert ist. Sie soll sich nicht unnötig Gedanken machen. Das würde die Lage nur verschlimmern.
    Linda wollte ihre Mutter eigentlich nicht anrufen, aber die Verlockung war groß. Es war fast so, als zwänge eine dunkle, mütterliche Macht sie dazu, die Nummer zu wählen. Sie wusste, dass Margie mit Freundinnen ein Wellness-Wochenende gebucht hatte, sie aber über ihr Handy erreichbar war. Die junge Linda hätte angerufen und sich hinterher über den Tanz geärgert, den sie und ihre Mutter immer aufführten. Später, inzwischen selbst Mutter, hatte sie begriffen, dass es einen einfachen Trick gab, dem Tanz zu entkommen. Man setzte sich einfach hin. Also

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