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Hueter der Daemmerung

Hueter der Daemmerung

Titel: Hueter der Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L. A. Weatherly
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Zeit war, sich zum Torre Mayor zu begeben, würde es sein, als wäre nie etwas passiert.
    Seb und ich steckten in der U-Bahn, als es geschah.
    Wir hatten schweigsam nebeneinander in dem ratternden Waggon gesessen, was neuerdings nicht ungewöhnlich war. Im Verlauf der letzten Tage war es mir manchmal schwergefallen, überhaupt mit Seb zu reden, obwohl die Tage zuvor nie lang genug gewesen waren für alles, was wir uns zu sagen hatten. Ich spürte, wie tief betrübt er darüber war und dass er alles tun würde, damit unsere Freundschaft wieder so wurde wie früher. Ich konnte ihm nicht helfen. Ich wusste, dass ich es war, die sich verändert hatte. Aber ich fühlte mich innerlich viel zu zerschlagen, um herauszufinden warum oder um etwas dagegen zu unternehmen. Alles, was ich sehen konnte, war der verletzte, verwunderte Ausdruck in Alex’ blaugrauen Augen. Mein Herz fühlte sich an wie ein kleines verwundetes Tier, das sich wimmernd in eine Ecke verkrochen hatte.
    Bis zum Angriff blieben weniger als zwei Stunden.
    Wir waren einkaufen gewesen und hatten beinahe unser letztes Geld ausgegeben, damit wir beim Empfang nicht auffallen würden. Ich schaute an mir herunter: Ich trug eine schwarze Hose mit einem türkisfarbenen Top. Auf bizarre Weise erinnerte mein Outfit an das von Beth Hartley, als ich ihr vor hundert Jahren in Pawntucket die Zukunft vorhergesagt hatte und den Engel gesehen hatte, dessen schimmernde Erscheinung sich auf der glitzernden Wasseroberfläche eines Baches spiegelte. Damit hatte alles angefangen.
    Unser Plan, wenn man ihn überhaupt so bezeichnen konnte, bestand darin, zum Haus zurückzukehren und uns dem Team anzuschließen, wenn es zum Angriff aufbrach. Dorthin waren wir jetzt unterwegs. Ich hatte keine Ahnung, wie Alex reagieren würde, wenn er uns sah. Aber unabhängig davon, wie quälend die Situation zwischen ihm und mir war, für den Angriff brauchte er jeden, den er kriegen konnte. Und er war ein viel zu guter Anführer, um das nicht zu wissen. Die Vorstellung, ihn wiederzusehen, ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. Ich meinte sterben zu müssen, sollte ich in seinen Augen immer noch denselben Hass sehen.
    In dem Versuch mich abzulenken starrte ich auf den dreckigen Metroplan an der Wand. Seit wir das AK-Haus verlassen hatten, hatten Seb und ich häufig an der Brücke im Chapultepec Park herumgehangen und den Torre Mayor beobachtet. Ich bin mir nicht sicher, was wir damit zu erreichen hofften. Hauptsächlich gab es uns etwas zu tun, das sich eventuell irgendwie als nützlich erweisen könnte.
    Aber was auch immer da drinnen vorging, es fühlte sich … eigentümlich an. Genau genommen fühlte sich die ganze Stadt eigentümlich an. Bereits vor ein paar Tagen war mir aufgefallen, dass ihre Energie sich verändert hatte. Sie war ruhiger geworden, was jetzt deutlicher zu merken war als je zuvor. Dieses Gefühl von »New York im Koffeinrausch« war verschwunden. Und jedes Mal, wenn ich zum Torre Mayor hinaufsah, stieg ein merkwürdiges Bild vor meinem inneren Auge auf: Wurzeln. Dicke schimmernde Spiralen aus Energie, die sich tief in die Erde bohrten und sich unterhalb der Stadt zu einem dichten Netz verzweigten. Hier und da schlängelten sich dünnere Ableger in alle Richtungen davon, ich konnte sie gerade eben noch erspüren.
    »Was glaubst du, was das ist?«, fragte ich Seb beunruhigt, als wir zum ersten Mal darübergestolpert waren. Es war fast das einzige Mal, dass wir innerhalb von einer Stunde miteinander redeten. Wir standen praktisch exakt an derselben Stelle, an der Alex uns damals beim Händchenhalten erwischt hatte. Ich hatte den schmerzlichen Gedanken beiseitegeschoben.
    Seb hatte den Kopf geschüttelt und in die Höhe gestarrt. »Ich weiß es nicht«, hatte er erwidert. »Aber die Dinger fühlen sich … lebendig an.«
    Mehr hatten wir dazu nicht gesagt, aber mir war es eisig kalt den Nacken hinuntergekrochen, denn »lebendig« war genau das richtige Wort. Jetzt saß ich verkrampft auf dem harten Plastiksitz in der Metro und überlegte, was die Zwölf da machten. Die Wurzeln, die sie in den Boden geschlagen hatten, schienen vor Zielstrebigkeit förmlich zu pulsieren. Ihre Energie war zu einem Teil der Erde geworden, als wäre die Energie des Konzils bereits seit jeher Teil der Erde gewesen.
    Ein Gitarre spielender Mariachi-Sänger wanderte durch den Zug. Sein Geträller pochte in meinem Schädel wie ein schlechter Traum. Seb hatte seinen Rucksack mit unserem ganzen Zeug

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