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Hueter der Erinnerung

Titel: Hueter der Erinnerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lois Lowry
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schob sich
     auf das große Portal zu.

7
    Jonas’ Gruppe nahm jetzt neue Plätze im Auditorium ein. Sie hatten mit den neuen Elfern getauscht und saßen jetzt ganz vorne, direkt vor
     der Bühne.
    Sie saßen in der Reihenfolge ihrer ursprünglichen Nummern, die sie bei ihrer Geburt erhalten hatten. Nach der Namensgebung
     wurden sie nur noch selten benutzt, aber natürlich kannte jedes Kind seine Nummer. Manchmal benutzten die Eltern sie, wenn
     das Kind sich schlecht benahm, womit sie zum Ausdruck bringen wollten, dass der kleine Bösewicht seines Namens nicht mehr
     würdig war. Jonas konnte sich nie ein Grinsen verkneifen, wenn er einen Vater oder eine Mutter ihrem kleinen Kind aufgebracht
     zurufen hörte: »Jetzt
reicht’s
, Dreiundzwanzig!«
    Jonas hatte die Nummer neunzehn. Er war also als neunzehntes Kind seines Jahrgangs geboren worden. Das bedeutete, dass er
     bei seiner Namensgebung bereits mit strahlenden Kinderaugen dasitzen konnte und bald darauf auch gehen und sprechen lernte.
     In den ersten ein, zwei Jahren hatte ihm das einen kleinen Entwicklungsvorsprung vor jenen Gruppenmitgliedern verschafft,
     die später im Jahr geboren waren, aber bis drei waren diese Unterschiede in der Regel verschwunden.
    Nach drei machten die Kinder die Fortschritte inihrer Entwicklung normalerweise gemeinsam, obwohl man an ihren Nummern nach wie vor erkennen konnte, wer früher oder später
     geboren worden war. Jonas’ vollständige Nummer lautete derzeit elfneunzehn, denn die Nummer neunzehn gab es natürlich in jeder
     Jahrgangsklasse. Und heute gab es, da die neuen Elfer bereits »befördert« worden waren, eigentlich
zwei
elf-neunzehn. Beim Mittagsmahl hatte Jonas der neuen elf-neunzehn zugelächelt, einem schüchternen Mädchen namens Harriet.
    Doch diese Doppelbesetzung würde nur wenige Stunden bestehen. Bald würde er kein Elfer mehr, sondern ein Zwölfer sein und
     nach zwölf war das Alter sowieso unwichtig. Man galt dann als erwachsen, genau wie die Eltern, auch wenn man noch jung und
     ohne abgeschlossene Berufsausbildung war.
    Asher war Nummer vier und er saß jetzt in der Reihe vor Jonas. Ihm würde seine Aufgabe als Viertem zugeteilt werden.
    Fiona, Nummer achtzehn, saß zu Jonas’ Linken. Zur Rechten saß Nummer zwanzig, ein Junge namens Pierre, den Jonas nicht sehr
     mochte. Pierre verstand keinen Spaß, war immer sehr ernst, ein Miesepeter und obendrein noch ein Klatschmaul. Wie oft schon
     hatte er Jonas zugeflüstert: »Du kennst doch die Regeln, nicht wahr?« Pierre flüsterte immer in einem Ton, als würde er höchst
     vertrauliche Dinge mitteilen. »Ich glaube nicht, dass das erlaubt ist.« Normalerweise ging es dabei um Kleinigkeiten, umdie sich kein Mensch scherte – das Öffnen der Tunika an heißen Tagen oder eine kurze Fahrt auf dem Rad eines Freundes, nur
     um zu sehen, ob es irgendwie anders war.
    Die Begrüßungsrede an die neuen Zwölfer wurde von der Chefältesten gehalten, der Vorsitzenden der Gemeinschaft, die alle zehn
     Jahre neu gewählt wurde. Die Ansprache war sehr ähnlich wie die im letzten Jahr: ein Rückblick auf die Kinderjahre und die
     Vorbereitungszeit auf das Erwachsenenleben, die neuen Verantwortlichkeiten als Erwachsener, die weitreichende Bedeutung des
     neuen Aufgabengebiets und der Ernst der kommenden Berufsausbildung.
    Nach diesem allgemeinen Teil fuhr die Chefälteste mit ihrer Rede fort.
    »Mit den Jahren«, sagte sie und ließ ihren Blick über die gespannten Mienen der neuen Zwölfer gleiten, »traten die Unterschiede
     zwischen euch immer deutlicher hervor. Ihr habt gelernt, euch in die Gemeinschaft einzufügen, euch sozial zu verhalten und
     jeden Impuls zu unterdrücken, der euch von eurer Gruppe isoliert hätte. Heute jedoch wird euren Unterschieden Rechnung getragen.
     Sie waren es, die für eure Zukunft ausschlaggebend waren.«
    Sie begann, die einzelnen Gruppenmitglieder mit ihren unterschiedlichen Charakteren zu beschreiben, wobei sie allerdings keine
     Namen nannte. Sie erwähnte, dass jemand außergewöhnliche pflegerische Fähigkeiten hatte, dass jemand gut mit Säuglingenumzugehen verstand, ein anderer ein geborener Wissenschaftler war, während einem Vierten körperliche Betätigung viel Freude
     bereitete. Jonas überlegte jedes Mal, wen seiner Klassenkameraden sie meinen könnte.
    Das mit den pflegerischen Fähigkeiten war bestimmt Fiona. Er erinnerte sich daran, mit welcher Sorgfalt und Zärtlichkeit sie
     die Alten badete. Mit dem geborenen

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