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Hüter der verborgenen Bücher (Buch 1)

Hüter der verborgenen Bücher (Buch 1)

Titel: Hüter der verborgenen Bücher (Buch 1) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Richner
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fügte seine Frau hinzu.
    Emily wusste kaum, wie sie die Treppe hoch und in ihr Zimmer kam. Sie konnte nicht fassen, was gerade passiert war. Alles ging auf einmal so schrecklich schnell. Sie würde also schon morgen weggehen. Von einem Tag auf den anderen würde sie an einem völlig fremden Ort leben, an dem sie keine Menschenseele kannte. Nicht einmal ihre Großtante Sophia. Und die Schule dort war bestimmt noch schrecklicher als die Charlotte Kaiser.
    Irgendwann ging sie zum zweiten Mal an diesem Tag auf den Dachboden und holte ihren Koffer. Ziemlich wahllos stopfte sie Hosen, Röcke, einzelne Socken, einige T-Shirts und Pullover in den Koffer. Weil sie am Morgen aufgeräumt hatte, ging das sehr schnell. Aus dem Bad holte sie Zahnbürste, Zahnpasta und Waschzeug. Danach war der Koffer beinahe voll.
    Etwas später klopfte es an die Tür, und Emilys Mutter trat ins Zimmer. Sie setzte sich neben Emily aufs Bett.
    „Du hast also gepackt?“, bemerkte sie und musterte den Koffer. „Brauchst du noch etwas?“
    Emily zuckte die Schultern. „Keine Ahnung. Ich weiß ja nicht, wie es dort ist.“
    Mittlerweile konnte sie wieder etwas klarer denken. Und sie war wütend auf ihre Eltern. Wie konnte man sein Kind einfach wegschicken? So schlimm war das mit der Vitrine doch auch nicht, fand Emily.
    Die Mutter betrachtete sie stumm. Auf einmal schloss sie ihre Tochter in die Arme.
    „Meine Kleine“, murmelte sie. „Es tut mir so leid, dass du gehen musst. Glaub mir, wenn es eine andere Möglichkeit gäbe… aber du musst zu Sophia. Wir können nichts dagegen tun.“
    Sie schluchzte ein bisschen.
    Nun ja, dachte Emily. Sie war zwar von der Charlotte Kaiser geflogen, aber es gab bestimmt noch andere Schulen, die sie aufnehmen würden.
    „Ihr könnt doch einfach hier eine andere Schule für mich finden“, sagte sie. „Ich würde mich anstrengen, ehrlich. Und jeden Tag drei Stunden Hausaufgaben machen.“
    Energisch wischte sich Olivia Rubinstern über die Augen.
    „Nein, Emily. Morgen fahren wir dich zu Sophia. Es geht nicht anders.“
     
    Eine fahle Mondsichel stand am Himmel, umgeben von tausenden von Sternpunkten. Das Laub der Bäume raschelte leise, und manchmal flatterte eine Fledermaus vorüber. Emily saß auf dem Fensterbrett und schaute hinaus. Schlafen konnte sie nicht, auch wenn die Uhr auf ihrem Nachttisch bereits nach Mitternacht anzeigte. Ihr Blick fiel auf den fertig gepackten Koffer. Noch zwölf Stunden, rechnete Emily. Nur noch zwölf Stunden lang würde sie hier sein, danach fing für sie ein völlig neues Leben an.
    Irgendwann hielt sie es nicht mehr aus. Sie stand auf, öffnete leise die Tür und schlich die Treppe hinunter. Es war still im Haus. Ihre Eltern waren bereits schlafen gegangen.
    Die Straßenlampen tauchten das Wohnzimmer in gelbliches Licht und warfen Schatten an die Wände. Emily setzte sich auf die Couch. Gedankenverloren ließ sie ihren Blick durchs Wohnzimmer wandern. Auf dem Couchtisch lag der Brief der Stiftung Charlotte Kaiser , der am Morgen angekommen war. Emily schaute ihn grübelnd an. Wenn ihre Schule nicht geschrieben hätte, wären ihre Eltern bestimmt nicht auf die Idee gekommen, sie zu ihrer Großtante zu schicken. Sie beugte sich vor, nahm den Umschlag und drehte ihn hin und her. Dann zog sie den Brief heraus, faltete ihn auseinander und begann zu lesen.
     
    Sehr geehrte Familie Rubinstern
     
    Wie verabredet schicke ich Ihnen hier einen kurzen Zwischenbericht über die Fortschritte Ihrer Tochter Emily an unserer Schule.
    Die Lehrkräfte sind sich einig, dass Emily sich den Umständen entsprechend gut eingelebt hat. Schulisch ist sie auf einem akzeptablen Niveau, ihre Noten haben sich dank der Unterstützung ihrer Lehrkräfte deutlich gesteigert, wie Sie Ende Januar in Emilys Zwischenzeugnis sehen werden. Ihre soziale Eingewöhnung lässt noch etwas zu wünschen übrig. Wir sind jedoch überzeugt, dass Emily in ihrer Klasse bald stärkeren Anschluss finden wird.
    Zusammenfassend kann ich sagen, dass Emilys Wechsel an unsere Schule sicher der richtige Schritt gewesen ist. Ihre Tochter wird bei uns in einigen Jahren erfolgreich zu einem guten schulischen Abschluss kommen.
    Für Fragen stehe ich Ihnen jederzeit zur Verfügung. Nun verbleibe ich mit freundlichen Grüssen
     
    S. Richter, Direktorin, Schule der Stiftung Charlotte Kaiser
     
    Verwirrt ließ Emily den Brief sinken. Da stand nichts über die zerbrochene Vitrine, und erst recht nichts über einen Schulverweis. Sie

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