Hüttengaudi
verständnisvoll, ohne auf ihre Augenringe zu achten – oder auf die Hüftringe, die mal größer waren, mal kleiner. In der Phase der Auflösung hatte sie keine Schrothkur gebraucht. Sie hatte fast zwanzig Kilo abgenommen, einfach so – nur durch das Leben.
Sie war am Boden gewesen, vor allem deshalb, weil sie so gerne begriffen hätte, was eigentlich passiert war. Warum Martin mit Sabine fremdgegangen war. Warum er sie, ohne mit der Wimper zu zucken, eingetauscht hatte gegen das Sabinchen. Gut, Sabine war schwanger gewesen, Irmi hätte sogar das am Ende toleriert. Dann hätte ihr Mann eben ein Kind gehabt, das er ab und zu besucht hätte. So weit wäre sie gegangen.
Lissi hatte ihr ins Gewissen geredet, dass das nie funktionieren würde. Sie war auch eine der ganz wenigen gewesen, die ihn von Anfang an nicht gemocht hatten. »Der ist falsch, auf seinen Vorteil bedacht. Er hat schlechte Augen.« Und damit hatte Lissi nicht sein leichtes Schielen gemeint. Bernhard hatte ihn eigentlich ganz gut gefunden, Martin hatte sich bei Bernhard immer im Sinne einer Männerfreundschaft angebiedert. Wollte mithelfen, obwohl er nicht mal einen Nagel gerade in die Wand hatte schlagen können. Für das Handwerkliche war immer Irmi zuständig gewesen oder Irmis Familie. Aber auch das hatte sie als charmante Eigenschaft abgetan – Gott, nicht in jedem steckte ein Universalhandwerker. Dafür war Martin charmant, konnte gut reden, fand sich in ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen Kreisen zurecht. Und weil Irmis Onkel eben auch bei der Bank war, gab man dem aufstrebenden Familienmitglied den einen oder anderen Schubs nach oben. Irgendwann war wohl der Zeitpunkt gekommen, wo die Mangoldschen Mohren ihre Schuldigkeit getan hatten. Er hatte wieder einmal alle Freundschaftsfäden von der Vergangenheit ins Jetzt gekappt. Ohne Vergangenheit war man auch weniger angreifbar. Er war mit Sabine nach Murnau gegangen und hatte völlig neue Bekannte auserkoren. Und so wie es aussah, hatte er wieder einmal sein Vorleben in die Tonne getreten. Diesmal war Sabine die Leidtragende. Damals war sie es gewesen.
Irmis Mutter hatte sich mit Kommentaren zurückgehalten. Sie hatte auch gar nichts sagen müssen. Irmi hatte sich eine Zweitausgabe ihres Vaters ausgesucht. Nur einmal war ihre Mutter sehr deutlich geworden. Es war um ein klassisches Muster bei Trennungen gegangen: Nie hatte jemand für Irmi Position bezogen. Im Freundes- und Familienkreis hatte man sich allenthalben auf den Standardspruch verlegt: »Mei, bei Eheproblemen gehören immer zwei dazu.« Irmi hatte jedes Mal das Gefühl gehabt, als risse man ihr Herz heraus. Er hatte sie betrogen, er hatte eine andere geschwängert. Sie war die Getretene, die am Boden lag. Und jedes Mal wenn sie den Kopf aus ihrer Schlammsuhle hob, kam einer und drückte ihr mit diesem Satz das Gesicht wieder in den Schmutz. »Warum sollte jemand für dich Position beziehen? Das wäre ja mutig. Und unbequem«, hatte ihre Mutter gesagt. »Mut fehlt in dieser Welt. Du bist immer allein. Das ist das Einzige, was du lernen musst.«
Irmi hatte das bis heute nicht gelernt, vielleicht weil ihr der Gerechtigkeitssinn immer noch im Wege stand. Noch immer war sie nicht zynisch genug. Sie hatte nie ganz mit ihm abschließen können. Schließlich hatte sie sich zurückgezogen. Alle Plätze gemieden, wo sie ihn hätte treffen können. Sie hatte Gastritis als Dauerzustand in ihr Leben gelassen und sich doch immer zusammengerissen. Keinen Nervenzusammenbruch bekommen. Es hätte genug Gründe gegeben, aber Irmi hatte gelernt, dass man funktionieren muss.
Irgendwann erhielt sie nächtliche Terroranrufe, wurde mit verstellter Stimme beschimpft. Dass es Sabine und deren Schwester waren, wusste sie genau. Als Polizistin war ihr bewusst, dass nur handfeste Beweise zählen. Die Terroranrufe stoppten erst, als sie eine Fangschaltung androhte.
Dann verlor ihr Auto gerne mal die Luft. Aber erst als Karosserienägel in die Reifen von Bernhards Jeep geschlagen worden waren, reagierte ihr Bruder. Bis dahin war auch er der Meinung gewesen, dass seine Schwester halt eine verlassene hysterische Exfrau war.
Ein letztes Mal hatte Irmi es mit Reden versucht. Martin hatte sie nur angeschrien, wie sie eigentlich auf die Idee komme, dass er etwas mit den Anrufen und den Autoreifen zu tun hätte. Irmi war weder Amok gelaufen, noch hatte sie getobt. Auch weil sie so müde gewesen war. Was sie am meisten erschütterte, war die Tatsache, dass sie
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