Huff, Tanya
erröten -seine helle Tudor-Gesichtsfarbe
war der Fluch seines kurzen Lebens gewesen -, warf Henry die beiden Hälften des
Tellers in den Müll und wandte sich wieder Vicki zu. Zur Abwechslung konnte er
ihre Miene nicht lesen. „Sollen wir?" fragte er und nahm Zuflucht zu
Förmlichkeit.
Muschelförmige
Glaslampen beleuchteten die Treppe und den oberen Flur im ursprünglichen Teil
des Hauses, aber die Werwölfe, die in der Dunkelheit fast ebensogut sehen
konnten, hatten sich nicht die Mühe gemacht, auch noch im Korridor des Anbaus
welche aufzuhängen.
Vicki fluchte und
blieb am Rand des Zwielichts stehen. „Vielleicht wäre mein Zimmer doch
besser... "
Henry hakte sich bei
ihr ein und zog sie sanft weiter. „Es ist nicht weit", sagte er
besänftigend.
„Sei nicht
gönnerhaft", fuhr sie ihn an. „Ich werde blind, nicht senil."
Aber ihre Finger
packten seinen Ellbogen fester, und Henry spürte die Anspannung in ihren
Schritten.
Die nackte
40-Watt-Birne, die in der Mitte von Henrys Abstellkammer hing - es war eine
grobe Übertreibung, sie Zimmer zu nennen -, warf genug Licht, damit Vicki
Henrys Gesicht sehen konnte, aber in dem aufgehäuften Gerümpel türmten sich
Schatten über Schatten. Sie zog sein Kissen in ihren Rücken, lehnte sich gegen
die andere Wand und sah zu, wie er die Tür verriegelte.
Er roch den Beginn
ihres Verlangens.
Langsam drehte er sich
um, sein Hunger wuchs.
„So." Sie kickte
die Sandalen von den Füßen und kratzte an einem Mückenstich. Nichts war
besser, als sich um ein Jucken zu kümmern, um sich von einem anderen
abzulenken. „Setz dich, und ich werde dir von meinem Tag erzählen."
Er setzte sich. Es gab
nicht viel, was er sonst tun konnte.
„... und das ist die
Liste der Verdächtigen, wie sie im Moment aussieht."
„Du glaubst, es könnte
einer dieser Vogelbeobachter sein?"
„Oder der Fotografen.
Verdammt, es wäre mir lieber, es wären Biehn oder sein schleimiger Neffe als
ein einsamer Wanderer, den wir nie aufspüren werden."
„Du glaubst nicht, daß
es Biehn war."
„Wach auf. Er ist ein
netter Mensch." Sie seufzte. „Natürlich habe ich mich schon geirrt, und
ich habe ihn nicht von der Liste genommen. Denk dran, bisher habe ich nur drei
Leute von ihr gestrichen."
„Das kann ich nicht
glauben." Henry hob das nackte Bein auf, das auf dem Feldbett neben ihm
ausgestreckt lag, und begann, ihre Wade zu kneten, seine Daumen tief hinter
den Muskel zu graben und ihn dann zwischen seinen Handflächen zu rollen.
Nach einem
halbherzigen Versuch, sich dem Griff zu entwinden, ließ Vicki ihr Bein, wo es
war. „Was?"
„Daß du dich schon
früher geirrt hast."
„Ja nun, das kommt
vor..." Sie mußte schlucken, bevor sie antworten konnte. „...
gelegentlich."
Henry wußte, daß er
sie jetzt haben konnte, da sie ihr Ziel erreicht hatte und bereit war. Mehr
als das - der winzige Raum vibrierte beinahe vom Schlag ihres Herzens. Er zügelte
den Hunger mit eiserner Selbstbeherrschung.
„So." Er klopfte
sie leicht auf die Fußsohle und legte ihr Bein ab. „Was soll ich tun?"
Vicki riß die Augen
auf und runzelte die Stirn.
Henry wartete, sein
Gesicht zeigte höfliches Interesse.
Einen Herzschlag lang
schwankte Vicki zwischen Wut und Belustigung. Die Belustigung gewann, und sie
grinste.
„Du kannst den Baum
überwachen, den ich gefunden habe. Das bißchen Wind, das es gibt - und das ist
verflucht nochmal alles an Luftbewegung, das ich ausmachen konnte -, hat wieder
die Richtung gewechselt und weht von den Feldern weg. Wenn jemand mit einem
Gewehr Kaliber 30 auftaucht und auf ein Ziel wartet, schnapp ihn dir, und der
Fall ist vorbei."
„Gut." Er erhob
sich, doch sie schwang ihr Bein über seinen Schoß und versperrte ihm den Weg.
„Bleib, wo du bist...
und zieh mir gegenüber nicht so die Augenbraue hoch. Wenn wir noch lange so
weitermachen, werden wir einander schließlich mitten in der Küche die Kleider
vom Leib reißen und uns in eine peinliche Situation bringen. Ich will das
nicht, denn dies ist eines meiner Lieblings-T-Shirts. Nachdem wir nun beide
gezeigt haben, daß wir unsere niedereren Instinkte beherrschen, was hältst du
davon, wenn wir uns auf ein Unentschieden einigen und weitermachen?"
„Durchaus fair."
Er streckte die Hand, um sie in bester romantischer Tradition in die Arme zu
nehmen, fand sich aber statt dessen hart nach unten auf ihren Mund gezerrt.
Sie zerrissen das
T-Shirt nicht, aber sie überdehnten es etwas.
Am Ende übernahm er
die
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