Huff, Tanya
„Natürlich - warum würdest du dich
auch sonst melden."
„Ruf bitte im Humber College an und erkundige
dich bei jemandem in der Abteilung Gesundheitswesen nach einem Tom
Chen, der sich dort vor nicht allzu langer Zeit für das
Ausbildungsprogramm zum Beerdi gungsunternehmer beworben hat."
„Humber College. Gesundheitswesen ... Chen ... habe ich. Was willst du
wissen?"
„Alles."
„Über diesen
Chen?"
„Nein, über das Leben als solches!" Mike starrte auf
sein Spiegelbild in dem gerahmten Spiegel über dem Sofa und
verdrehte die Augen. „Der Name stimmt nicht, das ist aber wohl egal - und ich
brauche die Antworten postwendend."
Wieder
heftige Schwingungen in den Leitungen. „Klar doch ... wie kommt sie klar?"
„Vicki?"
„Nein, ihre Mutter, du Arschloch."
„So gut wie zu
erwarten war, wenn man alle Umstände in Betracht zieht."
„Na
ja ..." Eine Pause, in der Graham die Umstände in Betracht zog. „Also bist du die nächsten Tage in der Wohnung von
Vickis Mutter zu erreichen?"
Celluci sah sich
in der Wohnung um. „Ja. Hast du die Nummer?"
„Ja. Ich melde
ein R-Gespräch an."
„Schotte, knauseriger", grummelte Celluci und
hängte auf, wobei ein Lächeln seinen Mund umspielte. Dave war ein
guter Polizist und ein treu er Freund. Die beiden waren sich außer in ihrer Hingabe an
ihre Arbeit in nichts ähnlich, und ihre
Zusammenarbeit als Partner gestaltete sich sowohl erfolgreich als auch unkompliziert.
„Unkompliziert - das könnte ich hier momentan gut
gebrauchen!" Mike eilte in die Küche und an die
Kaffeemaschine. „Vickis tote Mutter macht Hausbesuche, ein Scherzkeks, der
genauso tot ist, bringt Teenager um, und im Schrank wohnt
ein Vampir."
Er erstarrte.
„Im Schrank wohnt ein wehrloser Vampir!"
Auch wenn die Tür von innen verschlossen war, wäre es
nicht weiter schwierig, den Rivalen dort
herauszuholen. Vicki für sich zu haben. Nur so viel Sonnenlicht einzulassen ...
Mike kam zu sich und griff nach der Kaffeekanne. Henry
war zu schlau, hatte zu lange gelebt, um sich in einen
solchen Schrank zu begeben, wenn er mit Gefahr rechnete.
Mike schüttelte den Kopf: heimtückisch, die Sa che mit dem Vertrauen! Er hob seinen
Kaffeebecher und brachte einen Trinkspruch
aus:
„Schlaf gut, Hurensohn."
Vicki massierte
sich mit beiden Händen die Schläfen und atmete geräuschvoll aus. Ihr war schon
vor einiger Zeit das Adrenalin ausgegangen, und sie war so müde, daß sich ihr
Hirn anfühlte wie taub. Mit der körperlichen Erschöpfung
konnte sie umgehen, damit hatte sie in der Vergangenheit viele Male
fertigwerden müssen, aber sie fühlte sich, als habe sie den Tag damit verbracht, sich
häuten und einsalzen zu lassen.
Mit Dr. Burkes unerwartetem Mitgefühl hatte es
angefangen und mit Devlin einen dramatischen Höhepunkt erreicht. Der Mann hatte
Vickis Mutter mehr als nur gern gehabt und war von ihrem Tod immer noch zutiefst erschüttert. So hatte er seiner Trauer
auf typisch irische Art aus führlich Ausdruck verliehen, und es war Vicki
nicht gelungen, seinen Wortschwall zu
stoppen. Sie hatte trockenen Auges zugehört, wie der ält liche Professor zuerst die Heimtücke des
Schicksals beklagte, ihr dann ausführlich versicherte, wie sehr alle, aber auch
wirklich alle Kollegen Marjory
geschätzt und gemocht hatten und schließlich detailliert geschil dert hatte, wie stolz die Verstorbene auf ihre
Tochter gewesen war. Vicki hätte
schon gewußt, wie man den Professor zum Schweigen hätte brin gen können, sie hatte es schließlich gelernt. „Manchmal", hatte der Aus bilder damals den
Polizeischülern erklärt, „ist es am besten, wenn die be fragte
Person einfach drauflos plaudert und man sie nicht unterbricht. Soll sie doch über Gott und die Welt reden — wir bringen Ihnen bei, wie Sie später die Spreu vom Weizen trennen. Aber manchmal müssen Sie
auch eingreifen und das Gespräch
gezielt lenken ..." Vicki
war nicht dazu in der Lage gewesen.
Sie wollte nicht hören, welch wunderbarer Mensch ihre
Mutter gewe sen war, wie sehr sich alle auf sie
verlassen hatten, wie sehr sie allen fehl te. Aber nicht zuzuhören
wäre ihr wie Verrat vorgekommen. Sie wollte ihre Mutter nicht noch
mehr verraten.
Anklagend stand die Schachtel mit den
persönlichen Dingen ihrer Mutter am Ende des Couchtischs.
Vicki hatte es gerade noch geschafft, sie in die Wohnung zu tragen - selbst das war
ihr nicht leichtgefallen - und war zu mehr
bislang nicht in der Lage gewesen. Die Schachtel war viel schwerer,
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