Hymne an Die Nacht
hinunterlief, begegnete sie dem Butler. »Kann ich Ihnen behilflich sein, Miss?«, fragte er.
Sie bemühte sich, ihre Erregung und ihren Zorn zu verbergen. »Ich suche die Toiletten.«
»Sie sind unten neben der Garderobe.«
Sie bedankte sich und wollte weitergehen, als er hinzufügte: »Ihr Vater und der Hund sind vorne auf der Terrasse. Der Graf wollte etwas frische Luft schnappen.«
Sie nickte und steuerte die Gästetoilette an, in der sich zum Glück momentan außer ihr niemand aufhielt. Es war ein Raum von der Größe eines Tanzsaals mit orientalisch geschwungenen Bogenfenstern, vor denen sich Rollos aus cremefarbener Seide kräuselten. Den Fußboden bedeckten schwarze Marmorplatten, die Wände glänzten matt in rötlichem Stukko Veneziano. Die Türen der Kabinen waren verspiegelt, Waschbecken und Armaturen an der gegenüberliegenden Wand im Stil der Belle Époque gehalten. Winzige Deckenspots sorgten für angenehmes, diffuses Licht, während die Spiegel über den Waschbecken durch seitliche Wandappliken gut ausgeleuchtet waren.
Ein samtbezogener roter Sessel mit einem Tischchen daneben vervollständigte den Eindruck, dass man sich eher in einem geräumigen Boudoir befand als in einer Toilette. Alles zeugte von erlesenem Geschmack und war von einer morbiden Eleganz. Es passt zu Vadim, dachte sie, während sie kaltes Wasser über ihre Handgelenke laufen ließ. Sie betrachtete ihr Gesicht im Spiegel. Die Augen lagen umschattet in den Höhlen, und trotz der sorgfältig aufgetragenen Schminke zeigten sich unregelmäßige rote Flecken auf der blassen Wangenhaut.
Sie nahm Puderdose und Lippenstift, und während sie ihr Make-up auffrischte, betraten drei junge Frauen schwatzend und kichernd den Raum. Die drei Rumäninnen musterten Joanna ungeniert, bis sie ihre lebhafte Unterhaltung fortsetzten, in der mehrmals der Name Vadim vorkam.
Fluchtartig verließ Joanna diesen Ort. Vor der Tür wäre sie beinahe mit Vadim zusammengestoßen.
»Ich habe dich gesucht.« Mehr Samt in der Stimme ging wirklich nicht.
Sie betrachtete ihn frostig. »Warum?«
In dem Moment öffnete sich die Tür, und die drei jungen Frauen kamen heraus. Als sie Joanna zusammen mit Vadim erblickten, verstummte ihre Unterhaltung, und sie eilten die Treppe hinauf.
Er ergriff ihre rechte Hand. »Um mich zu entschuldigen, natürlich. Ich habe mich wie ein Idiot aufgeführt, ich weiß gar nicht, was in mich gefahren ist. Bitte verzeih mir und versprich mir, dass du versuchst, mir nicht mehr böse zu sein!«
Ehe sie reagieren konnte, hatte er ihre Hand an seine Lippen geführt. Es war eine so unerwartete Berührung, und diese Lippen fühlten sich so warm, so weich und zugleich so entschlossen an, dass sie nicht protestierte. Er ließ sie los. »Komm«, sagte er mit einer ausholenden Bewegung, »lass uns wieder hineingehen und etwas trinken. Und dann lass uns tanzen. Zum Zeichen, dass wir versöhnt sind, einverstanden?«
Aber es war keine Frage. Es war eine Feststellung, leichthin und mit großer Selbstverständlichkeit geäußert. Joanna blieb stehen. »Vadim, so geht das nicht. Du hast nicht nur mich, sondern auch meinen Vater beleidigt, und ich kann das nicht einfach vergessen.«
Weiter kam sie nicht. Er zog sie an sich, wie in Zeitlupe erlebte sie die Bewegung, und als die Wärme seines sehnigen Körpers durch ihr Kleid drang, hatte sie sich schon von jedem vernünftigen Denken verabschiedet.
An das, was danach geschah, erinnerte sie sich später je nach Stand der Dinge entweder lustvoll oder beschämt, und womöglich hatte sie es zwischendurch auch manchmal schlicht verdrängt. Doch die Bilder kamen immer wieder, sie würde sie nie mehr loswerden. Sie sah sich erneut in dieser Kabine in der prächtigen Gästetoilette, in die Vadim sie gedrängt hatte, hörte seinen keuchenden Atem, der über sie hinwegglitt, spürte seine fiebrigen Hände unter ihrem Kleid, die ihr den Slip abstreiften, sah die Gier in seinem Blick.
Als er mit einer einzigen harten Bewegung in sie hineinstieß, hatte es etwas Animalisches, doch bevor sie aufschreien konnte, legte er die Hand auf ihren Mund. »Lass es einfach geschehen«, raunte er an ihrem Ohr.
Seine Worte hatten auf sie die Wirkung eines Narkotikums. Träge sank ihr Kopf in den Nacken, ihre gespreizten Beine gaben nach, und wenn er sie nicht festgehalten hätte, wäre sie zu Boden geglitten.
»Ich habe dich von Anfang an gewollt«, flüsterte er, bevor seine Lippen ganz sacht über ihren Hals strichen.
Weitere Kostenlose Bücher